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Die Entfuehrten

Titel: Die Entfuehrten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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Namen, wie du kannst.«
    »Auf seinem Tisch liegt aber keine Akte«, sagte Jonas. »Nur ein Laptop.«
    Daran bestand kein Zweifel. Wenn er die Augen zumachte, sah er die riesige, fast leer gefegte Tischplatte förmlich vor sich.
    »Sie wird da sein, wenn du zurückkommst«, sagte der Mann.
    Er kam einen Schritt auf Jonas zu und dieser spannte die Muskeln an. Aber der Mann lief einfach weiter, bog neben der Kabine um die Ecke und ging zur Tür, die in den Gang hinausführte. Jonas hörte sie weder aufnoch zugehen, doch als er um die Ecke sah, war der Mann verschwunden.
    Jonas ließ sich erschöpft gegen die Metallwand fallen.Er holte tief Luft. Ganz ruhig . . . Sein Kopf war wieder klar genug, um ihn daran zu erinnern, die Toilettenspülung zu betätigen.
    Draußen vom Gang ertönte ein Klopfen, jemand pochte an die Tür.
    »Jonas? Jonas, ist bei dir alles in Ordnung?«
    Es war seine Mutter, die ihn wieder einmal wie ein Kindergartenkind behandelte.
    »Alles klar!«, rief er.
    »Brauchst du Hilfe?«
    »Nein! Ich komme gleich!«
    Er ging zum Waschbecken, spritzte sich Wasser ins Gesicht und spülte den Mund aus. Er hatte immer noch einen ekelhaften Geschmack darin. Er lehnte die Stirn an den Spiegel.
    Unterlagen, dachte er. Wirf einen Blick in die Akte auf Mr Reardons Tisch.
    »Jonas?«, rief seine Mutter vor der Tür.
    »Ich komme.«
    Jonas fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht – das war äußerst unmanierlich, zugegeben, aber das Beste, was er in dieser Situation tun konnte – und verließ die Toilette. Seine Mutter wartete direkt vor der Tür. Dad und Mr Reardon standen ein Stück weiter hinten im Gang.
    »Bist du . . .«, setzte seine Mutter an, aber Jonas schnitt ihr das Wort ab.
    »Ich hab dir doch gesagt, es ist alles in Ordnung!«
    Mit kühlem Blick sah Mr Reardon ihnen entgegen, als sie zu seinem Büro zurückkehrten.
    »Eigentlich bin ich der Ansicht, dass wir fertig sind«, sagte er.
    »Nein, nein, bitte, Jonas ist jetzt völlig in Ordnung«, sagte seine Mutter. »Wir müssen diese Sache zu Ende bringen. Ich glaube, Sie haben uns einfach auf dem falschen Fuß erwischt.«
    Auf dem falschen Fuß erwischen
war eine ihrer typischen Redewendungen. Das Gleiche hatte sie auch über Jonas und Billy Barton gesagt, als Jonas im zweiten Schuljahr mit einem blauen Auge nach Hause gekommen war. (Jonas hatte sie komplett missverstanden: »Nein, Mom«, hatte er beteuert, »es war seine rechte Faust und nicht der Fuß.«)
    Mr Reardon machte ein skeptisches Gesicht. Trotzdem nahmen alle wieder ihre Plätze ein, bis auf Katherine, die gar nicht erst aufgestanden war. Jonas warf ihr einen unfreundlichen Blick zu, doch sie sah noch schlimmer aus, als er sich fühlte: Sie war bleich wie ein Bettlaken und ihre Augen waren groß und rund, als habe man sie gerade zu Tode erschreckt.
    Wow, dachte Jonas. Ich wusste gar nicht, dass Katherine sich solche Sorgen macht, wenn mir schlecht wird.
    »Mir geht’s gut«, raunte er ihr tonlos zu. Doch ihre Blässe und die aufgerissenen Augen blieben.
    Mr Reardon und seine Eltern redeten weiter, während Jonas sich für einen Moment ausklinkte. Er tat,als interessierte es ihn, zu sehen, ob Mr Reardons Laptop ein Mac oder ein PC war, und warf einen kurzen Blick auf den Schreibtisch.
    Dort lag eine Akte. Es war eine billige neutralfarbene Mappe, wie sie in jedem Büro verwendet wird.
    In diesem Moment fiel auch Mr Reardons Blick auf die Mappe. Jonas war ganz sicher, obwohl der FB I-Agent weder den Kopf bewegte, noch im Sprechen innehielt. Reardon sah immer wieder so verstohlen zu der Mappe hin, dass Jonas dazu überging, ihn zu beobachten. Er musste daran denken, wie er beim Baseballspielen einmal eine Scheibe zerbrochen und sich eingeredet hatte, seine Eltern würden es vielleicht gar nicht bemerken, wenn er ihnen einfach nichts davon erzählte. Doch als sein Vater in den Garten gekommen war, konnte Jonas einfach nicht anders, als immer wieder zu der zerbrochenen Scheibe hinzusehen. Es war, als hätte das Fenster seine Augen magnetisch angezogen.
    Die gleiche Anziehungskraft schien die Akte auf Mr Reardon auszuüben.
    Natürlich war Jonas damals erst sechs Jahre alt gewesen, während Mr Reardon ein erwachsener Mann war. Doch je weniger er auf das achtete, was Mr Reardon sagte (irgendetwas über das Wohl der ganzen Nation und Kompromisse, die alle Amerikaner zugunsten der Sicherheit eingingen), und je mehr er sich auf das winzige Zucken um Reardons Augen konzentrierte, desto klarer wurden

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