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Die Entfuehrten

Titel: Die Entfuehrten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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genau wie eine automatische Bandansage. Dann wechselte er wieder zurück in seinen normalen Tonfall. »Ich beweise es dir.«
    Er zog sein Handy aus dem Rucksack und begann zu wählen.
    »Mach das später, Chip. Der Bus kommt«, sagte Jonas, der sah, wie die Scheinwerfer um die Ecke bogen.
    »Es kommt sowieso nur eine Bandansage«, sagte Chip. »Hast du was zu schreiben?«
    Jonas fischte einen Stift aus seinem Rucksack. Chip hielt ihm die linke Handfläche hin.
    »Ich diktiere dir die Nummer und du schreibst sie mir auf die Hand«, sagte er.
    Chip redete immer noch, als es in der Leitung klickte, was Jonas aus nächster Nähe hören konnte, und eine ganz und gar nicht künstlich klingende Stimme »Hallo?« sagte.
    Es hörte sich an wie ein Mädchen.
    »Äh, hallo«, sagte Chip unbeholfen. »Äh, Daniella?«
    »Ja?« Sie klang ungeduldig.
    »Äh . . . wohnst du noch in Ann Arbor?«
    »Wo denn sonst?«
    »Äh, in Liston, Ohio, vielleicht? Oder in Upper Tyson oder Clarksville, aber das ist weniger wahrscheinlich. Bist du sicher, dass ihr nicht demnächst umzieht oder ihr schon dabei seid . . .?«
    »Nein«, sagte das Mädchen in einem Ton, der eindeutig besagte, dass das eine wirklich superdumme Frage war.
    »He, habt ihr vor, heute noch zur Schule zu gehen?«, rief der Busfahrer.
    Da erst merkte Jonas, dass der Bus angehalten hatte und die meisten anderen Kinder bereits eingestiegen waren. Er packte Chip am Arm und zerrte ihn zum Bus.
    »Äh, tut mir leid«, sagte Chip gerade ins Telefon. »Ich fürchte, ich habe schlechte Neuigkeiten. Ihr habt wirklich keine weitere Adresse in einer Robin’s Egg Lane in einer anderen Stadt?«
    Jonas konnte nicht hören, was das Mädchen antwortete, weil sie gerade die Stufen des Busses hinaufstolperten. Aber als sie sich einen Augenblick später durch den Gang drängten, begann Chip zu flehen: »Nein, warte, leg nicht auf. Bist du ein Adoptivkind?«
    »Super Anmache, Alter«, raunte ein Achtklässler auf seinem Platz.
    Chip nahm das Handy vom Ohr.
    »Lass mich raten – sie hat aufgelegt?«, sagte Jonas.
    Chip nickte.
    Beide plumpsten auf ihre Sitzbank, als der Bus vom Bordstein anfuhr.
    »Wow, du hast wirklich eine tolle Art mit Mädchen«, frotzelte Jonas.
    Chip schüttelte den Kopf.
    »Ich verstehe das nicht. Das passt überhaupt nicht ins Schema. Jetzt ist sie total sauer auf mich, bloß weil ich sie was gefragt habe. Glaub mir, die anderen Anrufe habe ich viel besser hinbekommen, oder ich habe Katherine anrufen lassen.«
    »Na, dann kann Katherine ja heute Abend bei Daniella anrufen und sie auf die richtige Art befragen«, meinte Jonas.
    »Du verstehst das nicht«, sagte Chip. »Ich will es
jetzt
wissen.«
    Chip hockte auf seinem Platz und starrte sein Handy an, als habe es ihn hereingelegt. Er sah so unglücklich drein, dass Jonas sich verpflichtet fühlte, ihn aufzuheitern.
    »He«, sagte er und rüttelte seinen Freund am Arm. »Du und Katherine habt ja ziemlich viel zusammengesteckt. Bist du immer noch in sie verknallt?«
    Es war seltsam, dass Chips Gefühle für Katherine mit einem Mal zu einem unverfänglichen Thema geworden waren.
    »Ich habe im Moment keinen Kopf für Schwärmereien, Mädchen oder so was«, murmelte Chip. »Nicht, wenn ich nicht mal weiß, wer ich selber bin.«
    »Du bist Chip Winston«, sagte Jonas bestimmt. Er fühlte sich wie in einer Wiederholung des Gesprächs, das er mit Katherine geführt hatte, am Abend, an dem er den zweiten Brief bekommen hatte. Nur dass er jetzt Katherines Rolle einnahm.
    Chip antwortete nicht sofort. Jonas fragte sich, ob er überhaupt zugehört hatte. Dann wisperte er, so leise, dass Jonas sich zu ihm hinüberbeugen musste: »Soll ich dir was verraten? Ich hatte schon immer das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt. Schon bevor ich rausgefunden habe, dass man mich adoptiert hat; schon bevor ich wusste, dass Mom und Dad nicht meine echten Eltern sind – meine leiblichen Eltern, meine ich. So, als wäre ich nicht der, der ich sein sollte. Als würde ich nicht dazugehören. Hier nicht und in Winnetka auch nicht. Nirgendwo.«
    Jonas richtete sich auf und sah Chip unbehaglich an.
    Eigentlich erzählten sich Kinder solche Sachen nicht. Und wenn sie nun jemand gehört hatte? Jonas sah sich um. Marcus Gladstone trommelte mit den Fingern auf den Vordersitz. Owen Rogers erledigte seine Mathehausaufgaben und murmelte vor sich hin: »Los, los, beide Seiten mal zwölf . . . und die vier mit rüber . . .« Queen Jackson sagte gerade zu

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