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Die Entfuehrung

Die Entfuehrung

Titel: Die Entfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Watts
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»Und warum hast du mich dauernd angestoßen?«
    »Verstehst du nicht?«, sagte Alice. »Die beiden Mäuse, die er gesehen hat, müssen die Entführer sein! Oder warum sollten sie sonst versucht haben, mit einer Leiter in unser Zimmer zu kommen?«
    Alex machte große Augen. »Stimmt. Und wenn sie kurz vor der Dämmerung hier waren, dann haben sie höchstens zwei Stunden Vorsprung. Genau!« Er stieß die Faust in die Luft. »Komm, Schwesterherz. Wir müssen uns beeilen!«

    Es war fast Mittag, und die Sonne brannte auf ihre Köpfe nieder, als sie Stubbins erreichten. Sie waren jetzt vier Stunden gelaufen, und Alice fühlte sich verschwitzt und unwohl, aber sie stieß dennoch einen Freudenschrei aus, als sich die vertrauten Umrisse ihrer alten Heimatstadt vor ihnen abzeichneten. Seit ihrem letzten Besuch hierwar viel Zeit vergangen. Ganz am Anfang, als sie alle noch dachten, dass Rebus und Emmeline einfach nur aufgehalten worden seien und bald zurückkehren würden, hatten Onkel und Tante sie regelmäßig hergebracht, damit sie ihre alten Schulfreunde besuchen konnten. Aber als sich dann herausgestellt hatte, dass ihre Eltern tot waren, hatten die Drillinge in Smiggins mit der Schule angefangen und schon bald einen Haufen neuer Freunde. Immer seltener kamen sie nach Stubbins zurück und ihr altes Leben hatten sie bald mehr oder weniger vergessen.
    »Schau mal, da ist der Park, in dem wir nach der Schule immer gespielt haben!«, sagte Alex.
    »Und das Rathaus. Weißt du noch, das Weihnachtskonzert, bei dem Alistair alle siebenundzwanzig Strophen vom Hirten von Schetlock gesungen hat, ohne ein einziges Wort auszulassen?«
    »War das das Konzert, bei dem du deinen Text in dem Krippenspiel vergessen und geweint hast?«
    »Das war eine ganz schwere Rolle«, fuhr ihn Alice beleidigt an.
    »Äh, lass mal sehen, ob mir deine Zeilen einfallen«, sagte Alex. »Ach ja, genau: Iiie-aah, iiie-aah, ich bin das Weihnachtseselchen – war’s nicht so?«
    »Halt den Mund«, sagte Alice ärgerlich, aber Alex stand plötzlich stocksteif und wie gebannt da, denn die Straße mit dem Kopfsteinpflaster endete an einem riesigen Platz, der vor Leben nur so brummte.
    »Der Markt«, hauchte er und ließ den Blick über dievielen bunten Stände gleiten. »Schnell, Schwesterherz – komm mit!« Er drängte sich durch eine Menge von Leuten, die Taschen und Körbe trugen und einkauften.
    »Huch«, sagte eine Maus, die einen Strauß Sonnenblumen trug, die so groß waren, dass sie kaum darübersehen konnte.
    »Passt doch auf!«, sagte eine andere, die den Arm voller dunkelvioletter Auberginen hatte.
    Alice folgte Alex an einen Stand, an dem ein Verkäufer mit bunt gemusterter Schürze unter einem blau-weiß gestreiften Sonnenschirm Käseplatten zurechtrückte.
    »Käse!«, krähte Alex.
    »Äh, genau«, sagte der Verkäufer in der Schürze trocken. Er war eindeutig nicht darauf gefasst, dass ein Kunde in solche Begeisterungsstürme ausbrach. »Das ist Käse.«
    »Schau dir bloß den bläulichen Schimmel an«, sagte Alex und deutete aufgeregt hin, während Alice neben ihn trat. »Und siehst du, wie schön krümelig der alte Gouda ist ... Wie lange ist der gealtert?«, wollte er von dem Standbesitzer wissen.
    »Drei Jahre«, erwiderte der Mäuserich in der Schürze wie aus der Pistole geschossen. Er hatte anscheinend beschlossen, dass sich Alex, auch wenn er eindeutig verrückt klang, doch noch als guter Kunde herausstellen konnte. »Und für einen Kenner wie dich, junger Mann, kann ich einen Spezialpreis machen ...«
    »Tut mir leid, wir haben kein Geld«, sagte Alice. »Los, hier entlang«, sagte sie zu ihrem Bruder, packte ihn festam Arm und zerrte ihn in eine ruhige Seitenstraße, fort vom Marktplatz. Zum Glück hatte Alex den Kuchenstand noch nicht entdeckt gehabt.
    »Aber Schwesterherz«, beschwerte sich Alex, »ich bin am Verhungern.«
    »Und wessen Schuld ist das?«, erwiderte Alice prompt. »Schließlich hast du in nur einer halben Stunde unsere ganzen Vorräte aufgegessen.«
    Nachdem sie einige Minuten weitergegangen waren und Alice ihren Bruder zügig an allen möglichen Schaufenstern mit leckeren Auslagen vorbeigeschleust hatte, wurden die Läden allmählich von Wohnhäusern abgelöst. Dann vergrößerte sich der Abstand zwischen den Häusern. Sie bogen nach rechts ab, dann nach links, dann wieder nach rechts. Ihre Füße wussten genau, wohin sie mussten, ohne dass einer der beiden ein Wort gesagt hatte. Schon bald standen sie vor dem

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