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Die Entfuehrung

Die Entfuehrung

Titel: Die Entfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Watts
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vertrauten Steinhäuschen mit dem großen Vorgarten und dem kleinen Obstgarten dahinter, der ein Stück hervorschaute.
    »Wer jetzt wohl hier wohnt?«, sagte Alex.
    »Ich glaube, Onkel Ebenezer hat gesagt, dass es eine Familie mit zwei Kindern gemietet hat«, sagte Alice. Ihr Blick war auf ein kleines Fahrrad, ein Dreirad und einige ramponierte Spielzeug-Rennautos gefallen, die auf der vorderen Veranda herumlagen. »Ich nehme an, er hat recht gehabt: Es ist besser für das Haus, dass jemand darin wohnt und es hegt und pflegt, statt dass es kalt und leer herumsteht.«
    »Schon möglich«, sagte Alex.
    »Denkst du viel an Mama und Papa?«, fragte Alice. Sie ließ den Blick über das Schieferdach und die honigfarbenen Mauern gleiten und bewegte die alte Seilschaukel, die von dem Kastanienbaum im Garten hing. Wie oft hatten sie, Alex und Alistair damals darauf geschaukelt!
    »In letzter Zeit nicht mehr«, gab Alex zu. »Früher habe ich ständig an sie gedacht, aber es wird immer schwieriger, mich an sie zu erinnern. Ich weiß, das klingt schlimm, aber – na ja, Tante Beezer und Onkel Ebenezer sind so lieb, und ich mag Smiggins, und unser altes Leben in Stubbins kommt mir so weit weg vor. Ich glaube aber, Alistair denkt noch viel an sie – nie nimmt er den Schal ab, den Mama ihm gegeben hat.«
    »Und jetzt ist Alistair auch weg ...«
    Mit diesen trüben Gedanken setzten sie ihren Weg nach Schambel fort.

    Während sie mehrere Stunden weitermarschierten, wechselten sie kaum ein Wort. Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich flache Gersten- und Roggenfelder wie ein blassgelbes Meer bis zum Horizont und wiegten sich bei jedem sanften Windstoß. Die Sonne brannte gnadenlos nieder, bis die gefiederten goldenen Ähren vor ihren Augen zu flimmern begannen. Sie blieben stehen und nahmen einen Schluck aus ihren Wasserflaschen. Die lange, schnurgerade Straße schien nicht aufhören zu wollen.
    Dann kam ein Anstieg und sie schlängelten sich durch unbebautes, krautiges Grasland mit Gesträuchen und Dickichten aus krüppeligen Bäumen. Die eintönige Stimmung der endlosen wogenden Kornfelder wurde jetzt fast unheimlich in dieser ungezähmten Landschaft, und die Gefahren, die auf ihrer langen Wanderschaft in den Norden lauerten, fern von ihrem Zuhause und ihren Lieben, erschienen Alice plötzlich sehr bedrohlich. Der Gedanke, dass sie hier draußen die Nacht verbringen mussten, ließ ihr Herz heftiger schlagen, selbst, als sie vor Müdigkeit langsamer wurden. Wie erleichtert war sie, als sie über eine Bergkuppe kamen und in einem üppigen grünen Tal mit Mandel- und Kirschbäumen landeten. An den felsigen Hängen der zerklüfteten Bergkette, die das Tal umgab, befanden sich in Terrassen angelegte Olivenhaine.
    Sie gingen die Talsohle entlang und im goldenen Licht der späten Nachmittagssonne wurden ihre Schatten immer länger. Plötzlich begann Alex’ Nase zu zucken.
    »Was ist das?«, sagte er mehr zu sich selbst.
    Er schnupperte erneut.
    »Brot!«, sagte er. »Frisch gebackenes Brot!«
    Und als auch Alice der Duft in die Nase stieg, merkte sie plötzlich, wie hungrig sie war.
    »Es kommt von dem Bauernhaus dort drüben.« Alex deutete auf ein schmuckes Holzhaus am Ende eines Weges, der von Kirschbäumen gesäumt war. »Ha! Ich hab doch gewusst, dass wir was zu essen finden, wenn wir es brauchen. Mir nach. Bauersfrauen haben ein Herz für Waisenkinder.«
    Er hastete geradezu auf das Haus zu und Alice folgte dicht hinter ihm.
    Der Duft nach ofenfrischem Brot wurde stärker, je näher sie dem Haus kamen, und kaum hatten sie den Rasen des Gartens betreten, da sahen sie auch schon die Bauersfrau. Sie trug schwarze Stiefel, hatte einen Strohhut auf dem Kopf und war gerade dabei, einen kaputten Teil des Zauns zu reparieren, der bis zur Straße verlief.
    Als Alex und Alice sich ihr näherten, schaute sie von der Arbeit auf und sagte: »Was wollt ihr beiden hier?«
    »Guten Tag, gute Frau, Sie müssen wohl die Frau vom Bauern sein«, sagte Alex. »Wir haben von der Straße her Ihr köstliches selbst gebackenes Brot gerochen. Haben Sie nicht ein Stückchen davon für zwei junge Mäuse übrig, die noch eine lange Reise vor sich haben?« Er drehte sich um und zwinkerte seiner Schwester vielsagend zu.
    Die Bauersfrau blickte sie unter der Krempe ihres Hutes scharf an. »Seid ihr Zwillinge?«
    »Nein, wir sind Drillinge. In Stubbins sind wir leider von unserem Bruder getrennt worden. Haben Sie ihn zufällig gesehen? Er sieht genauso aus

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