Die Entfuehrung
aufbrechen!«
Ganz leise und vorsichtig machte Alex die Fensterläden wieder auf und beugte sich über die Fensterbank. »Okay«, sagte er flüsternd, »kein Licht bei ihr.« Langsam ließ er die zusammengeknoteten Laken aus dem Fenster, dann drehte er sich um und sah seine Schwester an. »Unten müssen wir vielleicht ein Stück springen, wenn das Seilnicht ganz bis zum Boden reicht, aber es sollte nicht zu schlimm sein. Ich geh als Erster. Wenn ich den Daumen hochstrecke, wirfst du den Rucksack runter und kommst hinterher.«
Er rüttelte noch einmal an der Stelle, wo das Laken am Bett angeknotet war, dann stieg er über die Fensterbank.
Alice sah seinem Abstieg ängstlich zu. Die weißen Laken hoben sich überdeutlich von der Hauswand ab und zogen die Aufmerksamkeit auf ihren Fluchtversuch.
Sie spähte in die Dunkelheit, während Alex leise an Sophias Fenster vorbeikletterte, und rechnete damit, einen Aufschrei zu hören und entdeckt zu werden.
Schließlich stand er auf der Terrasse, und Alice konnte undeutlich sehen, wie er den Daumen hob. Sie hievte den Rucksack hinaus und ließ ihn in seine ausgestreckten Arme fallen. Er fing ihn mit einem leisen Schnaufer auf. Dann musste sie sich abseilen.
Sie kletterte auf das Fensterbrett. Die Strecke nach unten sah weit aus. Ihre Hand zitterte, als sie das Seil umklammerte. Dann schloss sie die andere Hand darum, hielt sich fest und ließ sich von der Kante gleiten. Einen Moment schaukelte sie durch die Luft und die Platten der Terrasse drehten sich schwindelerregend. Dann berührten ihre Füße die Hauswand und sie konnte die Drehung stoppen. Sie umklammerte das Seil mit den Knien und ließ sich Hand um Hand hinab. Als sie an Sophias Fenster vorbeikam, widerstand sie dem Bedürfnis, die Augen zu schließen. Stattdessen konzentrierte sie sich aufs Hinuntergleiten. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie spürte, wie Alex ihre Knie umfasste. Sie ließ das Seil los und er stellte sie auf den Boden.
Alex hängte sich den Rucksack über die Schulter, dann schlichen sie sich am Hotel vorbei auf die Straße.
»Uff«, sagte Alex, »nichts wie weg.«
Zuerst rannten sie, um sich so schnell wie möglich von der heimtückischen Sophia und ihrem Horatius zu entfernen.
Als sie außer Sichtweite des Hotels waren und die erste Aufregung über das knappe Entkommen nachzulassen begann, wurden sie etwas langsamer, liefen aber weiter. Immer wieder sahen sie zurück, um sicher zu sein, dass sie nicht verfolgt wurden.
Als Alice das Gefühl hatte, ihre Beine würden sie nicht mehr tragen, keuchte sie: »Ich muss mal kurz Pause machen, Alex.« Ihre Lungen brannten, während sie gebückt und nach Atem ringend am Straßenrand stand und die Hände auf die Knie stützte.
Alex, der nicht im Geringsten außer Atem zu sein schien, sah sie besorgt an. »Alles in Ordnung, Schwesterherz?«
Alice richtete sich auf. »Ja ... nein ... Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, dass wir weiter davon entfernt sind, Alistair zu finden, als je zuvor. Wenn Sophia und Horatius Spione aus Souris sind und ihn nicht haben, wer hat ihn dann? Und in wessen Auftrag folgen sie uns, was meinst du?«
Alex ließ den Rucksack zu Boden sinken und rollte dieSchultern, um seine Muskeln zu entspannen. »Ich weiß nicht. Königin Eugenia?«
»Königin Eugenia?«
Es kam Alice sehr unwahrscheinlich vor, dass die Königin von Souris auch nur im Geringsten an den Machenschaften zweier junger Mäuse aus Smiggins in Schetlock interessiert sein könnte. Aber irgendetwas stimmte nicht. Die beiden Spione schienen zu viel von ihnen zu wissen.
»Vielleicht gehen wir in die falsche Richtung«, sagte Alice. »Wir sollten nach Smiggins zurück. »Was, wenn Onkel Ebenezer und Tante Beezer in Gefahr sind? Was, wenn Sophia und Horatius gar nicht genau wussten, dass Onkel Ebenezer und Tante Beezer mit der FUG in Kontakt waren und uns nur dazu verleiten wollten, uns zu verraten? Oh nein!« Alice legte die Hände an die Wangen. »Ich fasse es nicht, wie dumm wir waren! Wenn wir gesagt hätten: ›Was ist die FUG?‹, hätten sie nicht sicher sein können, ob Beezer und Ebenezer etwas damit zu tun haben. Aber wir haben quasi zugegeben, dass die ganze Familie da drinsteckt. Was ist, wenn Horatius und Sophia beschließen, zurückzukehren und unsere Tante und unseren Onkel über die Widerstandsgruppe auszufragen, während wir in Schambel sind?«
Alex, der so aussah, als habe er Mühe, Alices verworrenen Gedanken zu folgen, meinte: »Aber
Weitere Kostenlose Bücher