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Die Entfuehrung

Die Entfuehrung

Titel: Die Entfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Watts
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nach so vielen Jahren wohl ihre Wunderheilung erklären?«
    Während es sich seine Freundin schmecken ließ, erinnerte sich Alistair an Timmys Worte vom Vorabend: Weißt du, warum du auf Wanderschaft bist? ... Hast du auch an die gedacht, die du zurückgelassen hast? Alistair hatte sofort an seine eigene Familie gedacht, aber was war mit den Angehörigen von Tibby? Mit schlechtem Gewissen erinnerte er sich an den netten Großvater Nelson und die grimmige Großtante Harriet, die beide so bedacht darauf waren, Tibby Rose zu beschützen, dass sie sie nicht aus dem Haus lassen wollten und dafür sogar die eigene Freiheit aufzugeben schienen. Und nun war sie fort. Wie mussten sie sich fühlen?
    »Tibby«, sagte er, »Timmy vom Winns hat mir gestern Abend ganz seltsame Fragen gestellt. Er hat mich gefragt, ob ich wüsste, warum ich auf Wanderschaft bin, und ob ich auch an die gedacht hätte, die ich zurückgelassen habe. Zuerst habe ich an Schetlock und meine Familie gedacht – dass ich zu ihnen reise, weil ich sie zurückgelassen habe. Aber ... es kann sein, dass er mehr damit gemeint hat. Also, wenn ich überlege, warum ich so unbedingt nach Hause will, hat das eigentlich etwas mit meinen Eltern zu tun. Als sie fortgegangen und nicht mehr zurückgekommen sind ...« Er verstummte und suchte nach Worten, die seinen Schmerz beschreiben könnten, aber keine Formulierung schien passend zu sein. »Es war schrecklich«, sagte er schließlich. »Ich habe beschlossen, dass ich niemals jemandem, den ich liebe, solche Schmerzen zufügen will. Das hat mich wohl ein bisschen zu übervorsichtig gemacht.«
    Tibby schüttelte den Kopf. »Bei mir ist es genau umgekehrt«, sagte sie. »Ich weiß, dass Großvater Nelson und Großtante Harriet versucht haben, mich zu beschützen. Aber man darf Menschen nicht festhalten, nur weil man Angst hat, dass ihnen etwas passieren könnte oder dass einem selbst was passieren könnte. Etwas riskieren gehört zum Leben, und dass einem was passieren kann, auch. Jeder muss sein eigenes Leben leben.« Sie schwieg eine Weile. Alistair überlegte, ob sie trotz ihrer tapferen Worte wohl an die beiden alten Mäuse dachte, die sie zurückgelassen hatte. Dann sagte sie rasch: »Wir sollten lieber aufbrechen.« Sie stand auf und klopfte sich die Krümel vom Fell.
    Als sie die Blätterlaube verließen, sah Alistair, dass es einen Wetterwechsel gegeben hatte. Dunkle Wolken von einer ähnlich bräunlich violetten Farbe wie ihr Fell hingen tief am Himmel.
    »Alistair«, sagte Tibby, als sie das Floß zu Wasser ließen und in die Strömung steuerten, »warum hast du Timmy vom Winns nicht unsere richtigen Namen gesagt? Hast du ihm nicht getraut? Ich fand, dass er und Griff und Mags und die anderen sehr nett waren.«
    »Es war nicht, dass ich ihm nicht getraut hätte«, sagte Alistair und fing mit regelmäßigen Schlägen an zu rudern, während Tibby das Floß mit der Stange auf Kurs hielt.»Ich glaube, ich habe ihm schon getraut ... Ich hatte nur irgendwie das Gefühl, dass er unsere Geheimnisse gar nicht wissen wollte. Oder sie vielleicht schon erraten hatte. Also, er hat doch sofort gemerkt, dass unsere Namen erfunden waren.«
    »Dass du behauptet hast, ich würde Jim heißen, war nicht gerade klug«, sagte Tibby Rose.
    »Er hat mich so überrascht«, wehrte sich Alistair. »Mir ist nichts anderes eingefallen. Wie dem auch sei, er hat ja nur gelacht und gar nicht nach unseren richtigen Namen gefragt. Und außerdem ist mir etwas an ihm komisch vorgekommen ... Tibby, sind dir seine Arme aufgefallen? Sie waren in der richtigen Fellfarbe, nicht gefärbt wie der restliche Körper. Es war nicht so gut zu sehen bei den ganzen anderen bunten Farben, aber ich glaube, ich hab ein bisschen Rotbraun erkannt.«
    »Rotbraun?« Tibby machte große Augen. »Aber er kann doch nicht so sein wie wir. Denk doch mal, wie freundlich der Wachmann war!«
    »Schon, aber er ist ja auch gefärbt. Wie wir ...« Alistair musste wieder an Timmys ironisches Lächeln denken; wie er Alistair angesehen hatte, als würden sie beide ein Geheimnis teilen. Auch Tibby schien in Gedanken verloren zu sein, und so glitten sie flussabwärts, ohne sich zu unterhalten.
    Als ihm sein Bauch sagte, dass es Mittagszeit war, riss Alistair ein Stück Brot von dem Laib und reichte es Tibby, die sich murmelnd bedankte.
    Am frühen Nachmittag steuerten sie in eine kleine Kiesbucht, um die Arme auszuruhen und die Beine zu strecken, dann fuhren sie weiter. Als sie sich

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