Die Entführung der Musik
einzelne Männer zu- rück, wobei sie gelegentlich zögerten und mit erstaunten Blicken auf die leise funkelnde Wolke zeigten, die dem merkwürdigen Paar den Pfad entlang voranschwebte.
»Weegee wird meinem Brief nich glauben.« Mudge vergnügte sich damit, einen kleinen Grashüpfer zu fangen, wieder loszulassen und dann wieder zu schnappen, wobei seine Finger sich so rasch beweg- ten, daß sie zu verschwimmen schienen. »Sie wird glauben, ich bin zum Zechen und Saufen nach Lynchbany losgetorkelt.«
»Eine naheliegende Vermutung«, bemerkte Jon-Tom. »Nu aber, Kumpel, das is verdammt noch mal nich fair. Du weißt, daß ich das Leben als 'erumtreiber 'inter mir 'ab. Ich bin ein respektabler, gesetzter Familienvater, jawohl.«
»Meistens«, stimmte sein Freund zu. »Mach dir keine Sorgen des- wegen. Solange Weegee weiß, daß du mit mir zusammen bist, weiß sie auch, daß ich ein Auge auf dich habe. Was das auch immer wert sein mag. Auf jeden Fall wird sie deine Abreise eher hinnehmen als Talea.«
»Ja, natürlich.« Mudge blickte leicht überrascht drein. »Ich bin ein Otter.«
Verlassen und still lag nun Jon-Toms Baumheim weit hinter ihnen. Die Holzwände seines Studierzimmers erzitterten nicht unter den Vib- rationen seiner bardischen Ausführungen und die Küche nicht unter dem Vibrato von Taleas raschelnder Schürze oder ihren Flüchen. Die durch einen Banngesang schalldicht gemachten Zimmer im Oberge- schoß waren von menschlicher Gegenwart frei, ganz zu schweigen von Buncans, Squills und Neenas wildem Getrampel. Ordentlich ge- macht standen die Betten da, die Schränke hingen voll sauberer Klei- dung, und in verschlafener Unbetretenheit erwarteten die Böden die Rückkehr der Bewohner.
Nichts durchbrach die Stille, außer wenn gelegentlich ein leucht- endfarbener Kobold oder Dämon auftauchte und scheu einen Riß im Boden oder in der Decke entlangschlitterte. Da sie Jon-Toms kunst- voll getarnte thaumaturgische Fallen fürchteten, vermieden sie jeden Unfug, auch wenn es gelegentlich ein streitbares Treffen mit der einen oder anderen kampflustigen Wandergrille gab.
In der einschläfernden Stille des leeren Eßzimmers knisterte plötz- lich heftig die Luft, als würden Tausende alter Zeitungen ungehörig- erweise von einem Heer halbverhungerter Termiten überfallen. Die kohlensäuregeschwängerte Atmosphäre riß mit schrillem Kreischen auf und gestattete den scharfkantigen Bestandteilen eines wandernden Etwas, sich schnell zu einer Masse und Form besitzenden Gestalt zu verdichten.
Das magere Geschöpf war nur wenig größer als Mudge und hatte außer einer quer über die Schultergegend gespannten Riemen- Taschen-Vorrichtung kaum etwas an. Die gepanzerte Außenhaut warf in der Sonne den Glanz von Lapislazuli und Malachit zurück. Unge- lenk fingerte es an den auf seiner Unterseite festgeschnallten Vorrich- tungen, während die Atemöffnungen in seiner Mitte sich mit rhythmi- schem Schnaufen bewegten.
Auf seinen vielen Beinen hatte es festen Halt, und während es sich langsam im Kreis drehte, nahm es seine unmittelbare Umgebung sorg- fältig in Augenschein. Die Füße steckten in sechs mit einem feinen Filigranmuster verzierten Metallschuhen, wovon jeder einzelne mit einer erlesen dargestellten und völlig unverständlichen Schrift bedeckt war. Mit riesigen Augen betrachtete das Wesen prüfend Tische, Stüh- le, den Geschirrschrank und die verschiedenen Wanddekorationen. Abgesehen vom leisen Flüstern seines Atems gab es keinen Laut von sich, obwohl seine multiplen Mundpartien in konstanter Bewegung waren. Die Schneideränder hatten purpurrote Flecken, als hätte ihr Besitzer seit Monaten nichts als Trauben gegessen.
Kaum einen Daumennagel breit und von der gleichen Farbe wie die Metallschuhe, umspannte ein im Licht der Nachmittagssonne leuch- tend golden glänzendes Band den haarlosen Schädel des Geschöpfs. Ein rechteckiges Kästchen aus komplexen, aber nicht bedrohlichen Polymeren hing von den vier Fingern seiner linken Hand herunter. Die Oberfläche des Kästchens war mit Lichtern und Kontaktpunkten über- sät. In seiner Mitte befand sich ein transparentes ovales Display. Aus dem Kästchen ertönte ein durchdringender Heulton.
Als das Geschöpf die transparente Scheibe mit dem Finger berührte, hörte das Heulen auf. Mit seinen goldenen Augen beendete es die Be- sichtigung des Raumes und bewegte sich daraufhin in die Küche. Sei- ne Suche schloß schließlich jeden Raum des Baumes mit ein. Nur kurz
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