Die Entführung der Musik
sowieso auf fast gar nichts.«
»Und er kann nicht lesen«, fügte der Waschbär hinzu, um noch eins draufzusetzen.
Der verärgerte Mandrill hob mahnend den Finger. »Das stimmt, a- ber wenigstens höre ich zu, statt immer nur zu reden, und wer zuhört, der weiß ...«
»Klappe, der ganze Haufen!« knurrte das Ozelot. Die Streithähne wollten die Wildkatze nicht verärgern und verstummten. »Ihr laßt euch schon wieder ablenken.
Wie oft muß ich euch das noch sagen?« Er wandte sich wieder Jon- Tom und Mudge zu, die inzwischen mehr vorsichtig als wirklich ge- ängstigt waren. »Los, los, gebt uns eure Wertsachen!«
Mutiger geworden, hob Mudge seinen kleinen, aber kräftigen Bo- gen. »Keine Chance, Spitzohr.« Zu Jon-Tom gewandt fügte er hinzu: »Los, Chef. Zeig ihnen, was du kannst. Sing 'ne Armee blutschlürfen- der Ghule 'er bei, die ihnen das Fleisch von den Knochen nuckeln sol- len!«
Diese energische Aufforderung war nicht dazu geeignet, die üblen Vorahnungen zu dämpfen, die immer mehr von den Möchtegernräu- bern Besitz zu ergreifen schienen.
Jon-Tom ließ die Finger über die Saiten gleiten. »Ich hatte wirklich keine Zeit, etwas Geeignetes zu verfassen.«
»Schon gut, schon gut, das sagst du immer«, flüsterte Mudge ein- dringlich unter den Schnurrhaaren hervor. »Aber ich glaub nich, daß du dir allzu viel Mühe geben mußt, wirklich. Schau dir den 'aufen doch mal an. Die lassen einen nich grad vor Furcht erzittern, oder? Jag ihnen 'nen kleinen Schreck ein, un ich wette, sie rennen auf und da- von.«
»Ich will es hoffen«, antwortete Jon-Tom. »Wir sind sehr in der Minderzahl, und ich kann mein Schwert nicht mehr so schwingen wie früher.«
»Du konntest noch nie 'n Schwert schwingen, Kumpel. Ich schätz also, du singst jetzt besser.« Dabei hielt der Otter seinen Bogen schußbereit.
Seit ewigen Zeiten hatte Jon-Tom sein Talent nicht mehr zur Ver- teidigung einsetzen müssen, doch noch erinnerte er sich, wie er der Duar einige furchterregende Töne entreißen konnte. Sein erster Ver- such zeigte eine sofortige Wirkung auf die verirrten Akkorde, die wie vor Schmerz erzitterten und erschauerten. Ihre Reaktion auf Jon-Toms Bemühungen unterschied sich kaum von der Mudges und vieler ande- rer.
Die Wirksamkeit der Duarklänge war jedoch nicht zu bezweifeln. Da er zugeben mußte, daß es in der Vergangenheit vielleicht ein oder zwei Gelegenheiten gegeben hatte, bei denen seine Bannsängerei sie in Schwierigkeiten gebracht hatte, bemühte sich Jon-Tom, zur Vertrei- bung ihrer Angreifer nicht eine wilde Horde herauf zu beschwören, sondern nur einen einzigen, mäßig erschreckenden Geist, den er be- herrschte. Gerade erschreckend genug, um die Banditen in die Flucht zu schlagen.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers zeichnete sich zwi- schen den Banditen und ihren geplanten Opfern ein Umriß ab. Dies reichte aus, um alle außer dem Ozelot zu überzeugen, daß ein paar Schritte zurück wohl die beste Strategie wären. Der Anführer hielt trotzig die Stellung.
»Nur ein Trick. Alles Rauch und Licht, seht ihr das denn nicht?« rief er seinen entsetzten Gefährten zu. »Jeder Jahrmarktzauberer könn- te das gleiche.«
»Sieh doch, schau doch hin!« stammelte der Waschbär.
Etwas Hockendes verfestigte sich innerhalb des grollenden, schwir- renden Strahlenkranzes, der dem flammenden Nexus der Duar ent- stieg. Die atmosphärischen Begleiterscheinungen verflüchtigten sich, und zurück blieb - eine Eule. Eine mit einem grauen, frisch gebügelten Nadelstreifenanzug ordentlich bekleidete Eule. Farblich abgestimmte Krawatte, Taschenuhr und Hornbrille vervollständigten und vervoll- kommneten die Gesamterscheinung.
Es war nicht einmal eine besonders große Eule. Selbst das Eich- hörnchen war größer. Das Ozelot nickte anerkennend. »Ich habe mich also geirrt. Offensichtlich gibt es doch solche Wesen wie Bannsänger, und du bist ganz entschieden einer.« Es grinste und enthüllte dabei scharfe Zähne. »Aber du bist ganz einfach kein besonders großartiger Bannsänger.« Er winkte seinen Gefolgsleuten. »Seht ihr, hier gibt es nichts zu befürchten! Diese Erscheinung ist nicht einmal bewaffnet.«
»Nein, wartet.« Wild gestikulierend versuchte der Kapuzineraffe, seine Gefährten zurückzuhalten. »Bestimmt hat sie etwas bei sich.«
Mit ihrer geschickten Flügelspitze hatte die Eule eine aus glattem schwarzen Leder gefertigte dünne Aktentasche hinter sich hervorge- holt. Drohend schwang sie
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