Die Entführung der Musik
sah, daß der Banngesang tatsächlich gewirkt hatte. Die ganzen Jahre der Ü- bung, die ungezählten Tage harten Lernens unter Clodsahamps stren- gem Blick und seiner weisen Führung, die vielen, vielen Abende, die er mit Nachforschungen in alten Büchern verbracht hatte, all das hatte sich schließlich ausgezahlt.
Körperliche Transposition war eine der komplexesten und am schwersten zu meisternden Magien, und unbestreitbar hatte er jeden einzelnen in der Gruppe der Flüchtlinge an einen anderen Ort versetzt: Prinzessinnen, Soldaten, Mudge, sich selbst und sogar die verirrten Akkorde. Diese hatten sich in einen mikrokosmischen Tornado von Noten eingesponnen und ließen leise zischende Halbtriller voll zu- nehmenden harmonischen Vertrauens erklingen, vielleicht weil sie spürten, daß sie endlich bei einem Meister unter den Hexern und Bannsängern waren.
Es gab nur eine einzige Schwierigkeit. Er hatte sie nämlich nur eine halbe Meile weiter versetzt, und sie befanden sich noch immer auf dem gleichen Weg. Noch immer waren sie nahe genug, um die Lichter von Manzais Haufen zu sehen. »Ach, is das nicht nett!« beklagte sich Mudge. Mit einem ergebenen Seufzer machte er seinen Bogen wieder schußbereit.
»Na ja, ich habe uns an einen anderen Ort versetzt, oder etwa nicht?« Mit gerunzelter Stirn stimmte Jon-Tom einen der Saitensätze nach. »Das muß am Verhältnis zwischen Vers und Masse liegen. Wä- ren wir nicht so viele, wären wir wahrscheinlich weiter gekommen. Denk daran, daß ich normalerweise nur mit uns beiden zu tun habe.«
»Ich versstehe dass nicht«, sagte Seshenshe. »Wass isst mit unss ge- schehen?«
»Er 'at uns bewegt, Euer Sanftheit«, erklärte Mudge. »Er 'at uns nur nich so weit bewegt, daß wir sicher wären.«
Hinter ihnen ertönte ein Schrei. Von der wogenden grünen Wolke waren ihre Peiniger kurzfristig verwirrt worden, nun aber hatten sie die Flüchtlinge erspäht und nahmen die Verfolgung wieder auf.
»O je, Kumpel, am besten singste noch mal. Vielleicht kommen wir mit deinem Banngesang nur langsam voran, aber immer noch schnel- ler, als diese Bande rennt.«
»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.« Noch immer hantierte Jon-Tom mit den Stimmwirbeln herum. Ein Instrument zu stimmen, das gleichzeitig in mehreren Dimensionen erklang, war eine Aufgabe, die eines Hendrix oder Satriani würdig gewesen wäre. »Wie du ja auf- gezeigt hast, hat es das letzte Mal nichts bewirkt.«
»Oh, es 'at schon was bewirkt, Kumpel. Es 'at nur nich sehr viel be- wirkt. Aber ein bißchen Zauber ist besser als gar kein Zauber. Ver- such's noch mal.«
Da er nicht wußte, was er sonst tun sollte, und da er keine Zeit hat- te, gründlicher darüber nachzudenken, folgte Jon-Tom Mudges Auf- forderung und variierte dabei den Text so weit, wie dies innerhalb der Grenzen der von ihm angestrebten Beschwörung möglich war. Nur sang er diesmal ohne Unterbrechung weiter, als sie sich nach etwa ei- ner halben Meile wieder materialisiert hatten.
Die grüne Wolke bildete sich von neuem und löste sich wieder auf, löste sich auf und bildete sich erneut. Auf diese Weise hüpften sie voran, einmal waren sie in der Existenz, einmal außerhalb, und so be- wegten sie sich auf das weit entfernte Mashupro zu und ließen dabei die Verfolger langsam, aber sicher hinter sich. Manzais Gefolge konn- te sich nur auf seine Beine verlassen, während die Soldaten und Prin- zessinnen ohne Anstrengung auf den Flügeln der geschickten Melo- dien und des unharmonischen Tenors des Bannsängers reisten.
Wie schade, daß die Kids nicht dabei sind! überlegte Jon-Tom beim Singen. Sie hätten ihn ablösen können. Und bald würde er eine Pause brauchen. Zwar nahm er sich gelegentlich Zeit für einen kurzen Schluck Wasser, doch allmählich kroch ihm die Heiserkeit in die Keh- le. Wenn seine Kräfte ihn im Stich ließen, während die Verfolgung noch anhielt, war alles verloren. Als fühlte sie seine Not, umschwirrte ihn ängstlich die Akkordwolke, wobei sie die glühende Duar jedoch sorgfältig vermied.
»Sei vorsichtig, Bannsänger!« Ansibette schüttelte sich Schlamm von einem Fuß. Bei der letzten Transposition waren sie gefährlich na- he bei einer besonders morastigen Stelle des Sumpfes gelandet.
»Ich tue, was ich kann!« Er persönlich war dankbar für die feuchte Umgebung. Wäre die Luft trockener gewesen, hätte die Kehle ihm inzwischen wahrscheinlich schon den Dienst versagt.
Der Nasenbär-Scout kam keuchend und außer
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