Die Entführung der Musik
gelegentlich mußten die vier Soldaten die Ruder in die Hand nehmen oder ins Wasser steigen, um mit ihren Messern schwimmendes Gras und Schilf zu entfernen, das sich um Bug oder Steuerruder gewickelt hatte. Seit vielen Tagen schon hatten sie sich um Manzai, den Entführer, keine Gedanken mehr gemacht. Für die Prinzessinnen blieb der Hauptgrund zum Klagen weiterhin ihr radikal verändertes (um nicht zu sagen verdorbenes) Äußeres, das im Gegen- satz zu Jon-Toms Hoffnungen bisher noch keinerlei Anzeichen von Rückwandlung erkennen ließ.
Es war sehr früh am nächsten Morgen (viel zu früh, dachte Jon- Tom, als er den Kopf von seinem zu einem Kissen gefalteten Mantel hob), als Pauko einen Schrei ausstieß, der sofort von einem Warnruf gefolgt wurde.
»Steht auf und zu den Waffen! Da kommt etwas!«
»Da kommt etwas?« Der verschlafene Mudge versuchte, wach zu werden. »Was für 'ne verdammte Art von Alarm is denn das? Da kommt etwas?«
»Erklär schon, Pauko!« Naike stand inzwischen aufrecht und hatte sein Schwert ergriffen. »Was kommt?«
»Ich... ich weiß es nicht, Sir. Etwas ungeheuer Helles. Es kommt genau in unsere Richtung, oder vielleicht treiben wir auch darauf zu.«
Inzwischen regten sich auch die Prinzessinnen. Sie sind sicherlich gut ausgeruht, dachte Jon-Tom, da keine sich dazu herabläßt, nachts eine Wache zu übernehmen. Diese plebejische Pflicht blieb ihm, Mudge und den Mungosoldaten überlassen.
Der Otter versuchte, einen Pfeil einzulegen, traf aber die Sehne nicht, weil er noch immer zu wacklig war. Der ständige Strom von Flüchen jedoch, den er an seinen Bogen richtete, bewies, daß sein Mund schon gehorchte und sich bester Arbeitsverfassung erfreute.
»Dreckige, dämliche, dumme Mistsehne! Jon-Tommy, was zum Teufel is denn los?«
»Das versuche ich gerade herauszufinden.« Jon-Tom rieb sich den Schlaf aus den Augen.
Genau in ihrer Fahrtrichtung pulsierte in der Dunkelheit des Früh- morgens ein riesiges, blaß phosphoreszierendes Licht. Was zunächst eine gewundene Masse mit zwei Köpfen zu sein schien, löste sich beim Näherkommen zu zwei vierbeinigen Gestalten auf. An ein Wen- den des Bootes war nicht zu denken: Das Flachboot war keine Segel- jacht, deren Kurs sich auch bei einer kaum wahrnehmbaren Brise leicht verändern ließ.
Als Jon-Tom sah, daß die Geschöpfe nebeneinander eingeschirrt waren, entspannte er sich ein wenig. Das ließ auf Haustierhaltung ir- gendwelcher Art schließen und diese wiederum auf Kontrolle und Bändigung. Was immer da auf sie zusteuerte, es war kein wildes Ge- tier des Sumpflandes. Aber ungewöhnlich schien das Ganze wirklich zu sein: So etwas war ihm noch nie zuvor begegnet.
Die Wesen waren vor eine Art schimmernde weiße Wolke gespannt und kamen schlitternd und planschend durch das flache Wasser näher. Als sie heran waren, erkannte man vorn auf dem ungewöhnlichen Ge- fährt eine dritte Gestalt.
»Jemand fährt darauf.« Beim angestrengten Starren nach vorne wa- ren Naikes schlanker Oberkörper und sein Kopf zu einem stromlinien- förmigen Pfeil erstarrt. »Bei meiner Sippe, das Fahrzeug hat Räder.«
»Räder?« Karaukul sah nicht so scharf wie der Leutnant. »Im Del- ta?«
»Biste nich nur blind, sondern auch doof?« Mudge kämpfte sich ge- rade in seine Shorts hinein. »Die Räder drehn sich nich. Der ganze mißglückte Apparat sitzt auf dieser Wolke oder diesem Nebel oder was es is.«
Inzwischen sah selbst Jon-Tom, daß die Felgen der vier Räder das Wasser nicht berührten. Ein kräftiger Geruch veranlaßte ihn, sich um- zublicken, und da stand Quiquell von Opan neben ihm.
»was ist das für eine seltsame magie? ein solches fahrzeug habe ich nie zuvor gesehen.«
»So ergeht es uns allen«, erwiderte er. »Eigentlich halte ich das Weiße für keine Wolke. Das Licht ist zwar schlecht, aber dennoch glaube ich so etwas wie einen durchsichtigen Sack zu erkennen, der die Glut umhüllt und zusammenhält.«
»Sehr ungewöhnlich.« Aleaukauna trat zu ihnen, während Pivver sich an Mudge hielt. Ihre Nähe brachte ihn nicht aus der Fassung.
Plötzlich wurde der Fahrer des bemerkenswerten Gefährts lebendig, und schrill pfeifend und mit den Zügeln kämpfend versuchte er ver- zweifelt, den Kurs zu ändern. Er bereitete keineswegs einen Angriff vor, sondern tat eindeutig sein Bestes, einen Zusammenstoß zu ver- hindern. Sein Fahrzeug wirkte kaum manövrierfähiger als das überla- dene Flachboot.
Da sie keine Waffen sahen und auch sonst nichts,
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