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Die Entführung in der Mondscheingasse

Die Entführung in der Mondscheingasse

Titel: Die Entführung in der Mondscheingasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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die Stadt zurückgekehrt. Er wollte es genau wissen, ob Gus Uckmann
untertauchen mußte für alle Zeiten, oder ob er sich unnötige Sorgen machte.
    Daß er aus Österreich unbeanstandet
hatte ausreisen können — dem maß er wenig Bedeutung zu. Möglicherweise
verdankte er das nur seinem zeitlichen Vorsprung.
    Im Badezimmerspiegel musterte er sein
breites Gesicht. Er sah fahl aus. Die fipsige Nase wirkte winziger denn je. Wie
ihn das ärgerte! Für ein ansehnliches Riechorgan hätte er sonstwas eingetauscht
— eventuell zwei Zehen und einen Daumen.
    Er trat ans Fenster.
    Drei Stockwerke unter ihm war auch auf
der Straße der Sonntagvormittag in vollem Gange. Wochentags wäre es
selbstmörderisch gewesen, sie abseits der Zebrastreifen zu überqueren. Jetzt
wirkte sie wie der Teil einer Fußgängerzone. Ihn hätte es nicht gewundert,
wären Kinder dort auf Rollschuhen gelaufen. Daß soeben ein Bus vorbei zuckelte,
war sicherlich seit Stunden die einzige Störung der Stille.
    Er hatte freie Sicht hinüber zum
Wohnturm. Oben im zwölften Stock blitzte die Morgensonne auf den Fenstern
seines Appartements. Diese tolle Behausung! Ein Jammer, wenn er darauf
verzichten müßte.
    Totale Stille, dachte er. Wenn die
Bullen da sind, müssen sie auffallen. Wie sehen sie aus? Wo erwarten sie dich?
Haben sie das Haus umstellt? Hockt einer in der Eingangshalle? Bevölkern sie
meine Wohnung?
    Minutenlang sah er hinüber.
    Niemand zeigte sich. Nichts fiel ihm
auf.
    Er griff zum Telefon, klinkte die
Amtsleitung ein und wählte seine eigene Nummer. Zehnmal ließ er es klingeln.
Niemand hob ab. Er legte auf und wollte wieder zum Fenster. Aber ihm klebte die Zunge am Gaumen, der trocken war wie ein
alter Turnschuh, und Hunger meldete sich auch.
    Er rief beim Portier an und bestellte
ein Frühstück. Schon zehn Minuten später wurde es von einem Zimmermädchen
gebracht. Er gab ihr Trinkgeld und schob dann den Tisch ans Fenster.
    Während er losschmatzte, beobachtete er den ,langen Theo’ und dessen Umgebung.
    In der Seitenstraße dort, der
Müllerstuben-Gasse, parkte ein Lieferwagen. Heute? Am Sonntag? Warum nicht!
Gibt es doch Leute, die mit ihrem Lastzug zum Picknick oder in die Oper fahren.
Trotzdem sah das hier anders aus. Denn der Fahrer saß drin. Er las Zeitung, und
er las verdammt lange. Ab und zu hob er den Kopf und spähte zum
Wohnturm-Portal.
    „Ein Bulle“, murmelte Uckmann, „das ist
ein Bulle — so wahr ich hier Pflaumenmus baffere (esse)! Brrrrrhhh — Pflaumenmus! Das hasse ich doch eigentlich.“
    Aber er war zu sehr mit seiner
Beobachtung beschäftigt, um wählerisch zu sein.
    Eine halbe Stunde später trat Irmgard
Dießen, die Hausverwalterin, aus dem Wohnturm. Ihre rosige Haut glänzte, und
der Kurzhaarschnitt war noch blonder als sonst.
    Sie bog in die Müllerstuben-Gasse und
ging an dem Lieferwagen vorbei. Der Zeitungsleser nickte ihr zu.
    Na also!
    Uckmann war schon fast überzeugt, daß
man die Falle für ihn aufgestellt hatte. Aber er hing an seiner Bude. Und ein
Teil seiner schwarzen Seele hoffte noch immer, es sei alles in Ordnung und er
könne zurück. Deshalb traf es ihn wie ein Hammer, als er die Gestalt bemerkte:
oben im zwölften Stock, hinter dem Küchenfenster seiner Wohnung.
    Nur für Sekunden zeigte sich dort ein
Mann. Er blickte nicht heraus, er war nur dem Fenster etwas nahe gekommen. Aber
er war da. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Die verhaßten Bullen lauerten in
seiner Wohnung. Wahrscheinlich machten sie sich über seine Vorräte her, phantasierte
Uckmann, tranken seinen teuren Whisky und hatten schon alles durchwühlt.
    „Aber da ist nichts zu finden, ihr
Misttypen!“ stieß er durch die Zähne. „Nichts, was euch interessiert, und...“
    Er stockte.
    Zum zweiten Mal traf ihn der Hammer. Er
ächzte. Das war zuviel. Nein! Elende Kiste! Wenn sie den Schließfachschlüssel
fanden und erkannten, wozu der war, dann...
    „Nein!“ dachte er laut. „Langsam, Gus!
Denken, nicht winseln! Finden werden sie ihn. Er liegt ja in der Schublade. Aber
sieht man ihm an, was er wert ist? Daß er — zusammen mit Neschkes Schlüssel — die
Tür öffnet, hinter der sechs Millionen liegen. Nein, nein, nein! Er ist ein
Sicherheitsschlüssel wie andere auch. Ist er! Jajaja! Er verrät nicht, daß er
zu einem Schließfach paßt. Schon gar nicht, daß er einer Bank gehört — und zu
welcher. Sie werden ihn nicht beachten.“
    Die Voraussetzungen waren günstig. Denn
die Schublade, in welcher der Schlüssel

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