Die Entführung in der Mondscheingasse
sagte sie. „Wenn
du meinen Mann nicht gewarnt und ihm nicht geholfen hättest, wäre ich jetzt
Witwe. Und Gaby Halbwaise.“ Sie mußte die Tränen zurückdrängen.
„Nein, nein“, wehrte Tarzan ab. „Der
Kommissar hätte gemerkt, daß dieser Mörder hinter ihm ist. Im nächsten Moment
hätte er’s gemerkt. Da bin ich ganz sicher. Ist er noch in Uckmanns Wohnung?“
„Wahrscheinlich. Er hat sich keine
Minute Schlaf gegönnt. Schon gefrühstückt?“
„Ich bin noch satt bis zur Halskrause.
Aber wenn Sie einen Schluck Tee hätten...“
Sie hatte, natürlich. Und als er sich
die zweite Tasse reinzog, wankte Gaby aus ihrem Zimmer. Sie trug einen
Schlafanzug und war total verpennt mit Morgennebel in den Blauaugen, sozusagen.
Sie wollte ins Bad, bemerkte Tarzan und stolperte über ihre große Zehe.
„Huch!“ rief sie. „Mami! Ein fremder
Mann ist im Haus. Sind etwa noch mehr da?“
„Morgen, Pfote“, lachte er. „Die andern
Männer pofen. Jedenfalls schnarcht Willi mit Phonstärke 1000 (Phon = Maßeinheit
der Lautstärke). Karl war so müde, als wir ankamen, daß er bestimmt bis
Mittag an der Matratze horcht. Mich treibt die Neugier her. Ist Uckmann gefaßt?
Ich würde ihn zu gern in Handschellen sehen. Oder mit einer Beule am Haupt.“
Gaby öffnete mehrmals weit die Augen,
um Tageslicht ins Gehirn zu lassen, stemmte die Hände in die Hüften und kratzte
mit dem linken Fuß an der rechten Wade.
„Aber schön war’s im Tyroler Hof“,
sagte sie. „Den Zinke-Schollaus schreiben wir. Sofie hat nicht umsonst gesagt,
daß sie unsere Freundin ist. Trink mir nicht den ganzen Tee weg. Ich bin auch
noch da.“
Sie schlurfte ins Bad, wo alsbald die
Dusche prasselte.
Tarzan unterhielt sich mit Frau Glockner.
Aber sie hatte dann in der Küche zu tun. Also las er Zeitung. Gaby rief aus dem
Bad, mit ihr wäre vorläufig nicht zu rechnen, denn sie müsse den Pony schneiden
und die Fußnägel pediküren (pflegen).
„Laß dir nur Zeit“, antwortete er. „Ich
habe keine Sehnsucht nach dir.“
In der Küche lachte Frau Glockner.
Gaby rief: „Mami, wirf ihn raus.“
„Geht nicht, Gaby, er ist stärker als
ich.“
Dann kam der Kommissar zurück.
Er sah übermüdet aus, hatte aber seinen
Schwung nicht verloren. Triumphierend zeigte er den Schlüssel.
„An dessen Stelle liegt jetzt ein
ähnlicher“, erzählte er. „Den haben wir ganz auf die Schnelle besorgt. Jetzt
heißt es abwarten. Ich ziehe mich auf ein Nickerchen zurück, damit ich frisch
bin, wenn sich Uckmann meldet. Wahrscheinlich hat er Lunte gerochen. Aber er
ist im Zugzwang — es sei denn, er will für immer auf die Beute verzichten, was
ich für undenkbar halte.“
Während der Kommissar ins Schlafzimmer
absockte, hing Tarzan seinen Gedanken nach.
Hoffentlich, überlegte er, hat Uckmann
inzwischen seinen Mordplan aufgegeben. Aber wissen wir das? Vielleicht gehört
der Typ zur zähen Sorte. Er fand raus, daß wir nach Tirol reisen. Also weiß er
manches über den Kommissar und die Familie Glockner. Wenn dieser Mörder nun
nachholen will, was im Enge-Tal mißglückt ist? Wir haben ihn durchschaut. Aber
damit ist doch die Gefahr nicht beseitigt. Vermutlich hat dieser Gianni
Paresano zu dem Verbrechen angestiftet und fett dafür bezahlt. Bestimmt im
Voraus. Das muß Uckmann abarbeiten. Also Vorsicht! Vorsicht! Vorsicht! Der
Kommissar sollte sich eine kugelsichere Weste anziehen.
*
Gegen Mittag kehrte Uckmann ins Hotel
Königshof zurück. Er trug einen Sommerhut mit breiter Krempe. Hinter einer
großen Sonnenbrille versteckte er das Gesicht. Es hätte schon mit dem Teufel
zugehen müssen, wenn man ihn auf weite Entfernung erkannte. In die Nähe eines
Polizisten wagte er sich ohnehin nicht.
In seinem Zimmer zog er die Jacke aus.
Es war ein heißer Tag, viel heißer als in dem Tiroler Alpental, wo der Winter
um jeden Fußbreit Boden kämpft und der kurze Frühling stets mit Verspätung
eintrifft.
Hut und Sonnenbrille wurden aufs Bett
gelegt. Im Bad wusch er sich Gesicht und Hände. Dann suchte er Frau Dießens
Telefonnummer aus seinem Notizbuch.
Er wählte. Es läutete zweimal. Beim
dritten Mal wurde abgehoben.
„Irmgard Dießen“, meldete sich die
Hausverwalterin.
„Tag, liebe Frau Dießen“, lärmte er
fröhlich — und spürte förmlich, wie ihr der Atem stockte. „Wünsche einen
schönen Sonntag. Wie geht’s? Ach so, Sie sind ja schließlich keine Hellseherin.
Hier spricht Uckmann.“
„Ich... ich habe Sie sofort an
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