Die Entführung in der Mondscheingasse
Tasche gesteckt, in die kleine, wo immer
alles rausfällt. Ob’s dort rausfiel? Ob’s von Frau Feinschnitt gefunden wurde?
Wenn ja, hat ihr das gar nichts genutzt — im Hinblick auf Rückgabe. Woher soll
sie wissen, daß ich nebenbei auch UR bin — Ute Rohrbacher, zum Beispiel?
Gaby sprang auf.
„Frau Otter, mir fällt was Wichtiges
ein. Ich muß telefonieren. Jetzt gleich. Die Staffel muß ohne mich schwimmen,
ja?“
Die Trainerin war nicht erbaut,
willigte aber ein.
Gaby eilte zu ihrem Spind, wegen der
Münzen, und dann vor zur Kasse, wo die Telefonzelle war.
Frau Feinschnitt meldete sich sofort,
als hätte sie neben dem Apparat gelauert.
„Ich bin’s, Frau Feinschnitt, Gaby Glockner.
Guten Abend! Beim letzten Mal habe ich, glaube ich, mein Silberkettchen bei
Ihnen verloren. Vielleicht. Ein Kettchen mit silbernem Halbmond.“
„Das habe ich gefunden, Gaby. Es lag
auf einem der Stühle unterm Kissen. Aber ich wußte nicht, daß es dir gehört.
Weil die Initialen UR sind.“
„Es ist trotzdem meins. Kann ich’s
nachher abholen. Ich bin in der Nähe, im Olympia-Bad. Mein Heimweg führt bei
Ihnen vorbei — so etwa zehn nach neun.“
„Du kannst gern vorbeikommen, Gaby.
Aber um neun werde ich abgeholt. Wenn du jetzt gleich kämst, triffst du mich
an.“
„Wie spät ist es denn?“
„Kurz nach halb.“
„Dann schaffe ich’s leicht. Bis gleich.“
Sie wieselte zu Frau Otter, ließ sich
vom restlichen Training befreien, sauste zum Spind und dann in die
Umkleidekabine, wo sie sich rasend schnell trocken rubbelte und anzog.
Der Kassiererin — die nicht nur sie,
sondern auch Tarzan kannte — erklärte sie, wenn er käme und nach ihr frage,
solle sie ihn wieder nach Hause schicken. Dann holte sie ihr Klapprad und
strampelte los.
Es war nur ein kurzes Stück bis zur
Mondscheingasse.
Daß ein staubbedeckter Kombi vor dem
Olympia-Bad parkte, fiel Gaby nicht auf. Woher auch! Wob doch die Dämmerung
überall schon ihre dunklen Netze, denn der Himmel war gewitterschwarz und hing
wie eine Drohung über der Stadt.
*
Es sollte der Gipfel des Jubels werden.
Aber es wurde ein Abgrund der Zerknirschung.
Uckmann und Neschke hatten sich jeder
etliche Cognacs reingepfiffen. Dann zog Neschke seinen Schlüssel zum
Bankschließfach aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch.
„Der ist drei Millionen wert, Gus. Und
deiner?“
„Meiner auch“, Uckmann grinste.
Er holte seinen Schlüssel aus der
Brieftasche und legte ihn daneben.
Beide starrten darauf.
Wie die Schlüssel so nebeneinander
lagen, ähnelten sie sich kein bißchen.
„Bin ich schon breit (betrunken)?“ murmelte Uckmann.
Neschke rieb sich die Augen, als
brauche er neue.
Wenig später begriffen die beiden, daß
Uckmanns Schlüssel absolut untauglich war. Vielleicht paßte er zu einem
Überseekoffer oder zu einem Kaninchenstall, aber niemals zu dem Schließfach der
Bank.
„Glockner!“ brüllte Uckmann. „Der hat
mich verladen. Der hat den Schlüssel vertauscht. Nur der kann’s gewesen sein.
Maisl, der ihn für mich geholt hat, würde es niemals wagen. Jetzt ist alles
klar. Nein, nicht ganz! Woher hat Glockner davon gewußt?“
Neschke schenkte sich den nächsten
Cognac ein und schwieg. Er sah keine Veranlassung, seine Unzuverlässigkeit ins
Spiel zu bringen. Daß er seinen damaligen Zellengenossen Döge eingeweiht hatte,
war bedauerlich, aber jetzt nicht mehr zu ändern.
„Vielleicht ist er Hellseher“, meinte
er schließlich. „Oder ekelhaft umsichtig. Egal! Wir müssen deinen Schlüssel
zurückkriegen. Aber wie?“
Sie klopften Gedanken ab, sortierten
Einfälle, brüteten über Ideen und wurden sich einig.
„Es ist riskant“, meinte Uckmann. „Aber
es muß sein. Wir haben ohnehin nichts mehr zu verlieren, aber wir können noch
viel gewinnen. Glockner hat ‘ne Tochter. Kenne sie flüchtig. Habe sie
jedenfalls im Tyroler Hof gesehen. Wenn wir die entführen, wird der Bulle zahm
wie ein Ochse. Um sein Fleisch und Blut zu retten, überreicht er uns den
Schlüssel auf dem silbernen Tablett. Da gehe ich jede Wette ein. Klar?“
Sie besorgten Chloroform zum Betäuben.
Neschke stahl einen Wagen, einen Kombi. Ein unauffälliges Quartier hatten sie
inzwischen bezogen.
Ab morgen wollten sie im
Altstadtviertel die Glocknersche Adresse beobachten, um Gabys Tagesverlauf zu
studieren. Eine Gelegenheit, sie zu kidnappen, würde sich garantiert bieten.
Bei dem, was dann geschah, hatte
offenbar der Teufel seinen Pferdehuf und
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