Die Entfuehrung
dachte er.
Er dirigierte das Pferd zur Wiese hin und legte seine Pistole flach auf das Hinterteil des Pferds, so dass der Lauf nur leicht die Haut streifte. Es würde lediglich das Brennen spüren und eine harmlose Fleischwunde davontragen. Er drückte einmal ab. Das Pferd wieherte erschreckt auf und schoss los. Kurz darauf sauste der mysteriöse Reiter in vollem Galopp über die Wiese.
Gambrelli rannte unter den Bäumen durch in die entgegengesetzte Richtung. Jetzt, wo er einen Plan hatte, fühlte er sich stärker. Er rannte, so schnell er konnte, holte alles aus sich heraus. Er rannte den Fluss entlang - stromaufwärts, weil die FBI-Leute sicherlich erwarteten, er würde stromabwärts schwimmen, zum Potomac hin. Er duckte sich unter die Brücke am nördlichen Ende des Parks und lief geradeaus weiter, brachte noch einmal hundert Meter auf der anderen Seite hinter sich, bis er eindrucksvolle steinerne Monumente vor sich sah. Er sprang über eins hinüber, ohne sein Tempo zu verlangsamen. Grabsteine, dachte er sich. Er war auf dem Oak Hill-Friedhof angelangt. Der terrassenförmig angelegte Friedhof überragte den Park und führte wie eine riesige Treppe aufwärts. Gambrelli kletterte bis auf die oberste Ebene, bevor er sich schließlich umdrehte und zurückblickte.
Hubschrauber mit Suchscheinwerfern kreisten über dem Park. Er musste lächeln. Das Ablenkungsmanöver hatte funktioniert.
Er wandte sich den Lichtern der Stadt und der Straße unterhalb der Friedhofsmauer zu. Für die letzten hundert Meter nahm er noch einmal alle Kraft zusammen, sprang über den Zaun und landete in den Büschen auf der anderen Seite. Er klopfte seine Kleider ab und betrat den Gehweg. Dann blickte er noch einmal kurz zum Park zurück. Die Hubschrauber kreuzten immer noch über der Wiese. Es sah so aus, als würden SWAT-Leute sich an Seilen herunterlassen. Innerhalb von Sekunden würden sie ihren Irrtum bemerken - einige Sekunden zu spät.
Als die Straße frei war, überquerte er sie und winkte vor einem Restaurant ein Taxi heran. Das Taxi hielt, und er stieg hinten ein.
»Wo soll's hingehen?« fragte der Fahrer.
»In die Innenstadt«, sagte er und machte es sich auf dem Sitz bequem. »Und beeilen Sie sich.«
Allison starrte in ihre Tasse mit dampfendem schwarzem Kaffee. Sie saß auf dem Beifahrersitz des geparkten FBIVans, eingepackt in eine Decke, um sich zu wärmen. Der Regen machte auf dem Wagendach ein Geräusch, als würden Golfbälle abprallen. Allison ließ den Kopf hängen. Sie zerrte am Mikro, das an ihrem Pullover befestigt war. Harley Abrams öffnete die Fahrertür und schwang sich auf den Sitz neben ihr.
Sie starrte aus dem Fenster in die undurchdringliche Dunkelheit des Parks. »Er ist entwischt, stimmt's?«
Harley antwortete nicht.
»Es war mein Fehler«, sagte sie. »Ich war diejenige, die das blutige Foto von Tanya Howe erhalten hat. Ich habe Peter die Nachricht geschickt. Ich habe Ihnen gesagt, sie sollen mir nicht folgen. Wenn Sie Peter nicht hätten beschatten lassen, nachdem ich Sie angerufen habe, wäre das FBI nicht einmal in der Nähe gewesen, als das hier passiert ist. Ich hätte getötet werden können.«
»Es war ein guter Plan, Allison. Nur weil etwas schiefgegangen ist, heißt das noch lange nicht, dass die ganze Sache falsch war.«
»Jetzt wünschte ich mir, ich hätte nicht so einen einsamen Treffpunkt ausgesucht.«
»Peter sollte glauben, dass er den Mann treffen würde, den er angeheuert hatte. Wenn Sie ein Killer wären, würden Sie auch einen einsamen Treffpunkt auswählen, oder etwa nicht?«
Sie nahm das Mikro vom Pullover ab und übergab es Harley. »Ich nehme an, dass Sie alles mitgehört haben.«
Er nickte und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. »Ja. Tut mir leid.«
Ihre Stimme klang traurig. »Einerseits möchte ich es gar nicht glauben. Die ganze Zeit, als ich im Park gewartet habe, um die Falle zuschnappen zu lassen, habe ich gehofft, ich hätte mich geirrt. Dass es nicht Peter wäre. Dann war er da. Und alles war klar.
»Wahrscheinlich kann ich mir noch nicht einmal vorstellen, wie Sie sich fühlen. Diese Suche über all die Jahre. Dann herauszufinden, dass es Ihr eigener Ehemann war.«
Sie blickte auf. »Wollen Sie wissen, was ich empfinde? Denken Sie daran, wie Sie zum ersten Mal in das NCMEC, das Zentrum für verschwundene und ausgebeutete Kinder, gekommen sind. Die Wände bedeckt mit Fotos von glücklichen, unschuldigen Kindern. Es macht einen ganz krank, sich
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