Die Entfuehrung
und Ziegeln war jetzt die Verwaltung untergebracht. Zu ihrer Linken lagen die hoch aufragende Fisk Memorial Chapel, das malerische Harris Music Building mit italienisch beeinflussten Details und eine moderne dreistöckige Bibliothek mit einem langen Säulengang aus Beton. Während sie über den Campus schlenderte, träumte sie davon, die jüngste Studentin aller Zeiten an der ältesten Schwärzen-Universität zu werden.
Als sie den Campus durch das eiserne Tor verließ, sah sie, dass der Schulbus ihr langsam im Abstand von fünfzehn Metern folgte. Sie überquerte die Jackson Street und ging weiter die Seventh Avenue hinunter. Der Bus war hinter ihr, aber näher als die verabredeten fünfzehn Meter.
Sie blieb stehen und verzog das Gesicht. Sie drehte sich um und stemmte die Hände in die Hüften, als wollte sie sagen: »Reggie, Sie sind zu nah.«
Sie ging weiter zur High-School über einen alten holprigen Gehweg, der durch die knorrigen Wurzeln hundert Jahre alter Eichen in seinem Verlauf verändert worden war. Eine Bank an der Ecke war der perfekte Platz, um die scheußlichen Zöpfe zu lösen, die ihr ihre Mutter geflochten hatte. Der linke ließ sich leicht lösen. Sie zerrte noch an dem anderen, als sie sah, dass der Schulbus dichter aufholte.
»Verflixt noch mal, Reggie«, knurrte sie. Sie schüttelte ihre Haare aus, kämmte sie sich zu einer coolen Frisur, nahm ihre Schultasche und ging zur Straßenecke.
Der Bus war mittlerweile auf sechs Meter herangekommen.
Kristen ignorierte ihn und weigerte sich, sich umzusehen. Sie sah stur geradeaus, bis sie an der Kreuzung war. Kein Verkehr. Der Bus überquerte direkt hinter ihr die Kreuzung. Er hielt auf der anderen Straßenseite, so als wollte er sie einladen und direkt zur High-School bringen.
Allmählich wurde sie sauer. Was zum Teufel hat Reggie vor?
Sie überquerte die Straße und blieb neben dem Bus stehen. Das bunte Blätterdach über ihr spiegelte sich in der Windschutzscheibe, so dass es schwierig war, hineinzusehen. Kristen konnte gerade mal Reggies typische alte Fahrermütze ausmachen. Vom Gehweg rief sie: »Reggie, wir hatten was ausgemacht!«
Der Motor lief, aber der Bus blieb stehen.
Wütend trat sie näher und riss die Tür auf.
Sie zuckte zusammen, dann musste sie lächeln. Er trug eine Plastikmaske mit dem Bild von Lincoln Howe, die beliebteste Halloween-Maske des Jahres 2000. »Wie süß, Reggie. Ihnen auch ein schönes Halloween.«
Der Fahrer packte sie am Handgelenk. »Reggie, was soll das - «
Sie erstarrte mitten im Satz. Die Hand war weiß. Es war gar nicht Reggie.
Der Griff wurde fester - der kraftvolle Griff eines Mannes, der viel jünger war als Reggie. Mit einer schnellen Drehung riss er ihr fast den Arm aus dem Schultergelenk. Im Bruchteil einer Sekunde flog sie durch die offene Tür ins Wageninnere und landete flach auf dem Vordersitz. Ein zweiter Mann packte sie an den Beinen, stülpte ihr einen Sack über den Kopf und zog sie nach hinten in den Bus. »Fahr los!« rief er.
Die Tür schlug zu, und die Schließung rastete ein. Kristen versuchte zu treten und zu boxen, aber ihre Handgelenke und Fußknöchel waren mit Plastikschnüren gefesselt. Der schwere Sack erstickte ihre Schreie. Ihr Oberschenkel schmerzte beim Einstich einer Nadel, genau wie bei einer Schulimpfung.
Der Fahrer zog sich die Maske vom Gesicht und fuhr langsam davon - genau wie Reggie Miles, der umsichtige alte Fahrer der Wharton Middle-School.
Lautes Klingeln hallte durch die Flure der High-School. Kleiderspinde wurden zugeknallt. Zigarettenqualm drang aus den Toiletten von Jungs und Mädchen. Eine Rauferei im Treppenhaus musste abgebrochen werden, einer der Jungs weinte. Nach und nach trafen die Spätankömmlinge in Mrs. Roberta Hoods zehnter Englischklasse ein. Einige Schüler schienen zu kommen und zu gehen, wie es ihnen gerade passte, sie konnten sich nicht entscheiden, drinnen oder draußen zu bleiben. Der raue Geist von Halloween hatte auch vor der Martin Luther King Jr. High-School nicht haltgemacht.
Mrs. Hood war Ende Vierzig, wirkte jedoch viel älter. Sie hatte graue Haare und trug eine Brille mit dicken Gläsern, die ihre Augen verzerrten. Sie unterrichte schon seit mehr als zwanzig Jahren Englisch an der High-School, und zwar immer auf der Suche nach dem künftigen Ralph Waldo Ellison oder einer neuen Maya Angelou. Sie war sich ziemlich sicher, dass ihre Hoffnung nicht unter den Rabauken zu finden war, die nichts Besseres zu tun hatten, als
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