Die Entfuehrung
Flur bis zu seinen Enden einsehen konnte. Sie wusste nicht recht, welche Richtung sie einschlagen sollte - bis sie das Geräusch wieder hörte, nur noch deutlicher dieses Mal.
»Mami.« Es war die Stimme eines jungen Mädchens, sie kam aus dem östlichen Schlafzimmer.
Instinktiv lief Allison auf die Tür zu. Sie versuchte den Knauf zu drehen, aber er bewegte sich nicht. Sie hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür. »Emily!« schrie sie. »Hier bin ich! Ich bin hier!«
Sie warf sich mit der Schulter gegen die Tür, aber sie gab nicht nach. Panisch suchte sie den Flur nach einem Stuhl oder ähnlichem ab, womit sie die Tür aufbrechen konnte. Dann erstarrte sie. Am anderen Ende des langen Flurs stand ein schwarzhaariges Mädchen in einem rosafarbenen Kleid mit Faltenrock. Allison konnte im Dämmerlicht kaum ihr Gesicht erkennen, aber sie vernahm die Stimme so deutlich, als stünde das Mädchen direkt neben ihr.
»Ich heiße nicht Emily«, sagte es. »Ich heiße Kristen.«
Allison rannte den ganzen Flur hinunter, aber das Mädchen verschwand im Schlafzimmer und schlug die Tür zu. Wieder ließ sich der Knauf nicht bewegen.
»Kristen, mach die Tür auf!« Sie warf sich frustriert gegen die Tür, ließ dann aber einer Eingebung folgend davon ab, weil sich bei ihr plötzlich das unheimliche Gefühl einstellte, dass da jemand war. Sie wandte sich um. Am anderen Ende des Flurs stand ein kleines blondes Mädchen in demselben rosafarbenen Kleid. Das Gesicht ließ sich nicht richtig erkennen. Die Stimme jedoch war deutlich zu hören.
»Ich heiße nicht Kristen. Ich bin Emily.«
»Emily!« Sie raste den Flur entlang bis hinter das zentrale Treppenhaus. Sie war nur noch ein paar Schritte weg, als das Mädchen sich in den Raum zurückzog und die Tür zuschlug. Allison stürzte sich auf den Türknauf. Dieses Mal ließ er sich drehen. Sie stieß die Tür auf und blieb erstarrt stehen
Ihr stockte das Herz. Das war nicht das Schlafzimmer. Das war überhaupt kein Zimmer.
Sie atmete tief durch und versuchte die merkwürdige Umgebung aufzunehmen. Schwere rote Samtvorhänge umrahmten den dunklen Eingang. Vier leere Stühle standen gegenüber von einem Messinggeländer, hinter dem es noch dunkler war. Allison näherte sich dem Geländer, schrak aber zurück. Jenseits des Geländers war ein Theater mit Publikum zu sehen, das einer erleuchteten Bühne zugewandt war. Das Publikum lachte über einen Satz des Schauspielers.
Sie bekam einen trockenen Mund. Sie stand in einer Loge.
Ein schlurfendes Geräusch war hinter dem Vorhang zu hören. Sie wollte weglaufen, aber ihr Schicksal ließ es nicht zu. Sie drehte sich schnell um und stand einem wütenden Mann direkt gegenüber, der niemandem ähnelte, den sie kannte. Dennoch hatte sie das eigenartige Gefühl, ihn gut zu kennen. Sie wollte gerade seinen Namen rufen, als er seine Pistole auf sie richtete. Der donnernde Knall hallte wie ein Echo wider und raubte ihr die Stimme, die Sicht und jedes Gefühl von Zeit. Sie fiel rückwärts und taumelte wie in Zeitlupe über das Geländer. Die Erde schien sich aufzutun, als das alte Ford Theatre vom Schrei einer trauernden Frau erfüllt wurde, der wie ein Spuk die unvergesslichen Worte von Mary Todd Lincoln wiederholte.
» Man hat den Präsidenten erschossen! Man hat den. ...«
»Allison?«
Allison fuhr hoch beim Klang von Peters Stimme. Sie war schweißgebadet und völlig außer Atem.
»Ist alles in Ordnung?« fragte Peter und machte Licht.
Sie blinzelte heftig, ihr Herz raste. Sie drückte Peters Hand. »Was für ein furchtbarer Traum«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich glaube, ich mache mich selbst verrückt.
»Ist schon in Ordnung. Ich bin doch bei dir.«
»Bei Gott, Peter. Wenn sie Emily nicht bald finden, weiß ich nicht, was ich tun werde.«
»Kristen«, korrigierte er sie.
»Was?«
»Du hast gesagt: Wenn sie Emily nicht bald finden. Du meinst Kristen.«
Ihre Augen wurden glasig. »Natürlich«, sagte sie, während Peter sie festhielt. »Ich habe Kristen gemeint.«
22
Harley Abrams machte ein Nickerchen im Flugzeug, das Nashville am Donnerstag früh um neun erreichte. Tanya Howes Entscheidung, die FBI-Leute aus ihrem Haus zu werfen, war angesichts der Umstände verständlich, und Harley wusste auch von anderen leidgeprüften Eltern, die sich der Forderung von Entführern, die Polizei herauszuhalten, gebeugt hatten. Da die erste Lösegeldforderung direkt an Tanyas Adresse gegangen war, konnte jedoch ihre Weigerung,
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