Die Entfuehrung
sarkastisch. »Ich bin gerade hier in Nashville. Wollen Sie mir sagen, ich soll es nicht überprüfen?«
Sie kaute auf den Lippen und wog ihre Antwort ab. »Ich will, dass Sie diskret vorgehen.
33
Harley hatte seit seiner Ankunft in Nashville nur vier Stunden geschlafen und war schon vor Sonnenaufgang aufgestanden. Um acht Uhr hatte er eine Einsatzbesprechung geleitet, an der unter anderem die Metro Nashville Police und das Davidson County Sheriff's Departement teilgenommen hatten. Eine weitere Stunde hatten er bei einer Sitzung mit seinen wichtigsten Agenten in der örtlichen Einsatzzentrale verbracht - dem Leiter des Führungsstabs, den Agenten, die telefonische Hinweise entgegennahmen und weiterverfolgten, und ihren örtlichen Vorgesetzten. Die Zentrale schien gut organisiert zu sein. Alle Abteilungen benutzten einheitliches Material: einheitliche Deckblätter und Formulare für telefonische Hinweise, Formulare für zusammenfassende Berichte und zur Erfassung von Spuren, Aussageformulare und Einverständniserklärungen. Auch das weitere Vorgehen schien gut zu funktionieren. Alle Informationen wurden direkt gesammelt, in die Datenbank eingegeben, analysiert und ausgewertet. Soweit Harley sehen konnte, gab es nur ein Problem: Keine Spur von Kristen.
Allisons überraschender Anruf hatte seine Pläne nicht über den Haufen geworfen, obwohl er erst am Nachmittag Zeit fand, Tanya Howe zu Hause in Enchanted Hills aufzusuchen. Er war froh, dass es Allison bei dem Treffen gestern Abend gelungen war, Tanyas Zustimmung zur erneuten Telefonüberwachung durch das FBI zu erhalten. Die Agenten der technischen Abteilung waren schon morgens erschienen und müssten alles soweit vorbereitet haben. Harley fuhr jetzt bei Tanya vorbei, weniger, um die Arbeit seiner Leute zu überwachen - die wussten genau, was sie zu tun hatten -, sondern um Tanya das Gefühl zu geben, dass eine führende Persönlichkeit des FBI sich um sie kümmerte. Außerdem konnte er nebenbei Natalie Howe unter die Lupe nehmen - ganz diskret.
Natalie begrüßte ihn freundlich an der Tür. Sie hatte sich gut zurechtgemacht. In Zeiten wie diesen hätte manche Mutter und auch Großmutter ihr Äußeres vernachlässigt. Nicht so Natalie Howe. Sie war frisiert und geschminkt.
Außerdem hatte sie Lippenstift aufgelegt. Roten.
»Bitte, kommen Sie herein«, sagte sie.
Harley nickte geschmeichelt, als sie ihm den Mantel abnahm und ihn durch den Flur ins Wohnzimmer bat.
»Kann ich Ihnen irgend etwas anbieten, Mr. Abrams? Kaffee? Tee?«
Wie wär's mit einer Haarprobe? dachte er. »Danke. Aber ich möchte nichts.«
Die Agenten der Technik hatten das Wohnzimmer in ein kleines Nervenzentrum verwandelt. Die elfenbeinfarbene Ledercouch war in die Ecke geschoben. An ihrer Stelle befand sich ein rechteckiger Arbeitstisch voll mit hochmoderner Aufnahmetechnik. Ein dickes Kabel wand sich über den Teppich und versorgte den Rechner unter dem Tisch sowie einen zusätzlichen Rechner auf dem Schreibtisch mit Strom. Zwei ziemlich junge Agenten waren mit dem Rechner beschäftigt und unterhielten sich im typischen Fachchinesisch, während sie den Farbmonitor einstellten und noch einmal die Telefonverbindung überprüften.
Tanya saß auf einem Hocker an der Küchenanrichte. Sie war in ein Gespräch mit Pat Collins vertieft, einer schwarzen Agentin in Tanyas Alter, die vor ihrer Zeit beim FBI als Familienberaterin gearbeitet hatte. Harley hatte sie aus Atlanta herbeordert.
»Ist hier alles soweit in Ordnung?« unterbrach Harley die beiden.
Tanya sah auf. Ihre Augen wirkten trübe und leer, als wäre das Leben selbst langsam heraus gesickert, seit sie ihr ein und alles verloren hatte. »Nichts ist in Ordnung.«
Harley blinzelte nur. In all den Jahren hatten trauernde Eltern ihn angefaucht, ihn angebrüllt, ihn sogar geschlagen. Er hatte es nie persönlich genommen.
»Wir haben alles gründlich besprochen«, sagte Agent Collins. »Ich habe Tanya gerade ein paar Tips gegeben, wie sie ihre Gefühle am Telefon in den Griff bekommt. Sie ist auf den Anruf vorbereitet.«
In dem Moment klingelte das Telefon. Harley und seine Kollegin sahen sich an, als wäre das doch zu verrückt. Die Techniker waren sofort in Aktion, setzten die Kopfhörer auf und stellten alle Geräte ein.
»Ein Handy«, sagte einer von ihnen aufgeregt. »Es ist eine Kopie. Der Anruf wird an der zentralen Knotenstation zur Abschaltung illegaler Anschlüsse vorbeigeleitet - genau wie der Anruf bei der
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