Die Entlarvung
»So, wie ich nie jemanden zuvor geliebt habe. Sie ist eine einzigartige Frau. Ich bewundere ihre Intelligenz, ihre Persönlichkeit, ihr selbstsicheres Auftreten …«
King ließ sich in den Sessel zurückfallen. »Sie ist häßlich«, sagte er matt. Resigniert griff er nach dem Glas und nahm einen tiefen Schluck daraus.
»Nein, für mich nicht«, widersprach Leo. Verstohlen musterte er das Glas. King hatte es in einem Zug halb geleert.
»Ich finde Sie überhaupt nicht häßlich. Sie ist anders, ein ganz individueller Typ eben.«
Er erhob sich. Seine Nervosität war einer gewissen Euphorie gewichen. »Lassen Sie mich Ihnen noch etwas nachschenken«, sagte er und füllte Kings Glas bis zum Rand.
»Sie ist reich«, stieß sein Besucher hervor. »Sie könnte Ihnen nützlich sein – das ist es doch, was Sie meinen, oder? Und von mir als Schwiegervater versprechen Sie sich auch einiges, nicht wahr, Sie Schwein?«
Leo war sich nicht sicher, ob er bereits eine Veränderung an King feststellen konnte. Er antwortete: »Ich habe nur gesagt, daß ich Gloria liebe. Und sie liebt mich. Von einer Heirat haben wir überhaupt noch nicht gesprochen. Ich wollte erst mit Ihnen reden.«
King beugte sich vor. »Nun, jetzt haben Sie mit mir geredet. Meine Antwort lautet nein. Nie im Leben würde ich es zulassen, daß meine Tochter einen Versager wie Sie heiratet.«
Er wurde lauter, sein deutscher Akzent trat deutlicher zutage.
Leo blieb ganz ruhig. »Es gibt keinen Grund, mich zu beleidigen, Harold«, erwiderte er freundlich. »Wie ich bereits sagte, ich kann Ihre Gefühle gut verstehen. Gloria ist Ihr einziges Kind, Sie stehen ihr sehr nahe, Sie wollen Sie nicht verlieren. Aber von mir haben Sie nichts zu befürchten. Ich bin überhaupt nicht besitzergreifend.«
Er stand erneut auf, ging zum Tisch und schaltete unauffällig das Aufnahmegerät ein, das er hinter einem Stapel Zeitungen verborgen hatte. Dann schenkte er sich ein zweites Glas Wein ein und wandte sich zu King um. »Es freut mich, daß Ihnen mein Cocktail schmeckt. Darf ich noch einmal nachschenken?«
Da klingelte das Telefon. Leo hob den Hörer ab. Lächelnd sagte er: »Ja, auf mein Zimmer, bitte.« Mit dem Krug in der Hand trat er an Kings Sessel heran. Das Glas war leer. King hatte es ausgetrunken, während Derwent mit der Rezeption gesprochen hatte. Leo fand, daß sich sein Gast auffällig verändert hatte. Sein Gesicht sah rot und aufgedunsen aus, seine Augen hatten einen eigenartigen dämonischen Glanz angenommen.
Für einen Augenblick bekam Leo es mit der Angst zu tun. Aber dann klopfte es an die Tür. King schien das Pochen nicht zu hören. »Noch eines«, grölte er und hielt Leo sein Glas entgegen. »Mach es voll, du Dummkopf! So etwas will meine Tochter heiraten …« Er brach in dröhnendes Gelächter aus. »Sie läßt sich gern den Hintern von dir versohlen, mehr auch nicht!«
Leo ging zur Tür und öffnete. »Kommen Sie herein, Julia«, sagte er leise und trat zur Seite, um sie vorbeizulassen. »Er ist total betrunken.«
Julia hatte King seit der Begegnung in dem Restaurant nicht wiedergesehen. Damals hatte er Stärke und Macht verkörpert. Jetzt hing er schlaff im Sessel, Arme und Beine weit von sich gespreizt, die Augen fiebrig glänzend.
Sie starrte ihn an. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Leo hatte recht. King war betrunken. Betrunken und gefährlich. Sein Blick glitt über sie und blieb an ihrem Gesicht hängen. »Guten Abend, Mr. King. Ich bin Julia Hamilton«, brachte sie mühsam hervor.
»Ich kenne Sie«, sagte er. »Ich erinnere mich an die häßlichen roten Haare. In meinem Unternehmen dulde ich niemanden mit einer solchen Haarfarbe. Sie stinken wie Füchse. Sie also sind Westerns kleine Hure?«
»Nein«, entgegnete sie kühl. »Ich bin niemandes Hure. Ich pflege nicht mit meinen Arbeitgebern ins Bett zu gehen.«
»Um so idiotischer von ihm, Sie einzustellen«, höhnte er. »Wenn Sie für mich arbeiten wollen, müssen Sie sich Ihre Zotteln färben lassen.«
»Ich will aber nicht für Sie arbeiten«, antwortete Julia.
»Setzen Sie sich doch, Julia«, fiel Leo ein. »Möchten Sie ein Glas Wein?«
»Hier, probieren Sie lieber meine Spezialmischung.« King versuchte, sich aus dem Sessel zu hieven. »Na los, stellen Sie sich nicht so an! Der kleine Stinker hier, der es mit meiner Tochter treibt, hat das Zeug zusammengebraut. Wollte sich damit bei mir einschmeicheln. Er glaubt, mich überlisten zu können … Niemand überlistet
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