Die Entlarvung
wunderbar. Brillante Analyse.«
»Danke«, entgegnete Julia. »Es freut mich, wenn es Ihnen gefallen hat.«
»Nun«, wandte seine Frau im Flüsterton ein, »ich würde nicht gerade sagen, daß es mir gefallen hat. Wegen des Themas, verstehen Sie? Einfach entsetzlich. Schrecklich, wenn man sich mit derartigen Morden an Kindern auseinandersetzen muß. Hat Sie das nicht belastet? Sie müssen doch noch sehr jung gewesen sein.«
»Ja, milde ausgedrückt, hat es mich sehr belastet«, stimmte Julia zu. »Nachdem ich einmal damit begonnen hatte, ließ es mir keine Ruhe mehr. Ich hatte das Gefühl, den Vorfällen und den tieferliegenden Ursachen ganz auf den Grund gehen zu müssen. Nur so konnte ich mich allmählich wieder davon befreien.«
Jetzt fiel auch Richard Watson, der Gastgeber, in das Gespräch ein. »Ich gebe zu, ich habe Ihr Buch nicht gelesen«, bemerkte er. »Die Berichterstattung in den Medien hatte mir schon genug zu schaffen gemacht. Sie haben nie ein zweites Buch geschrieben?«
»Nein, mir bleibt einfach nicht genügend Zeit dafür. Die Verleger haben es aufgegeben, mich weiter zu bedrängen. Meine Leidenschaft gehört dem Journalismus, dem Metier, in dem ich mich ganz zu Hause fühle. Das Buch hatte eine kathartische Funktion für mich. Ein weiteres wird wohl nicht folgen.«
»Wie ich Sie beneide«, sagte Bob Thomas. »Ich wünschte, ich könnte ein Buch schreiben. Aber mir würde ums Verrecken nichts einfallen.«
»Jetzt habe ich aber genug über mich gesprochen«, meinte Julia und wandte sich an Richard Watson. »Erzählen Sie mir etwas von sich. Was hat Sie hierher verschlagen?«
Er sei nicht reich, hatte ihre Cousine Janey Peterson verlauten lassen, aber durchaus gutsituiert. Früher habe er eine leitende Stellung in der Industrie innegehabt, sei aber nun im Ruhestand. Ein Witwer, etwas zurückhaltend, aber sehr beliebt. Mit einem fantastischen Haus, alt und geschichtsträchtig, in dem er als galanter Gastgeber auftrete. Janey war sicher, daß Julia Gefallen an ihm finden würde. Er hätte oft über ihre Artikel im Sunday Herald gesprochen und würde die Zeitung hauptsächlich wegen ihrer Berichte lesen.
»Tja«, begann er nun, lehnte sich zurück und musterte sie. Er sah sehr gut aus. In seinen bemerkenswert blauen Augen spiegelten sich Wärme, Freundlichkeit und Scharfsinn zugleich. »Als meine Frau starb, bin ich in den vorzeitigen Ruhestand getreten. Sehen Sie, wir hatten keine Kinder, und ich stand plötzlich ganz alleine da. Wir hatten oft unsere Ferien auf Jersey verbracht und Freunde unter den Einheimischen gefunden, so daß ich mich entschloß, hierherzuziehen. Damals mußte man dazu kein Millionär sein, das können Sie mir glauben. Ansonsten wäre ich heute nicht hier. Den eigentlichen Ausschlag hat aber die Tatsache gegeben, daß dieses Haus hier zum Verkauf stand.«
»O ja«, warf Fiona Thomas mit dünner Stimme ein. Sie saß an Watsons linker Seite und beugte sich nach vorne, um Julia besser sehen zu können. »Davon mußt du Miss Hamilton unbedingt genauer erzählen.«
Julia wandte sich ihr zu. »Nennen Sie mich doch einfach Julia.«
Fiona lächelte und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Julia«, murmelte sie. »Wie nett von Ihnen …«
»Das Haus ist ein eher merkwürdiges Gebäude. Aber das Grundstück und die Aussicht hatten es mir sofort angetan. Bei meinem ersten Besuch hat alles ziemlich heruntergekommen ausgesehen. Der Garten war die reinste Wildnis. Dazu hat es in Strömen geregnet. Und doch bin ich sofort fasziniert gewesen, nicht zuletzt wegen des Preises. Das Anwesen gehörte einer Frau namens Hunter – sie lebte lange vor Ihrer Zeit, meine Liebe«, bemerkte Watson in Richtung Julia. »Sie ist mit mehreren reichen Männern verheiratet gewesen, wobei der letzte wohl der reichste war. Sie war sehr schön. Eine Frau, mit der man anscheinend viel Spaß haben konnte. Leider hat sie am Ende angefangen zu trinken und sich unmöglich benommen. Für die hiesigen Klatschreporter ein gefundenes Fressen. Sie war immer für eine Schlagzeile gut und dementsprechend häufig in der Presse vertreten.«
»Ich erinnere mich«, meinte Janey. »Auf Nerz wird einem zu warm beim Sitzen – stammt das nicht von ihr?«
Richard Watson lachte. »Natürlich stammt das von ihr. Sie hatte ein neues Auto, in dem die Armaturen, die Türgriffe und der Aschenbecher vergoldet und die Sitze mit Leopardenhäuten überzogen waren. Heutzutage würden die Tierschützer sie dafür lynchen. Als sie
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