Die Entlarvung
mächtig … mächtiger als Gott …«
Julia schaltete das Gerät ab. Sie fühlte sich elend und erschöpft. Das Rätsel war gelöst, die Fäden entwirrt. William Western hatte sie belogen und getäuscht. Er war ein Feigling, der seine Kameraden im Stich gelassen und ihre Ermordung verschwiegen hatte, nur um seine eigene Haut zu retten. Er hatte mit diesem Verrat gelebt, bis sein Feind und Rivale Harold King Teile der dunklen Vergangenheit wieder heraufbeschworen hatte, nachdem er auf den ehemaligen Offizier Richard Watson gestoßen war.
King und Western – zwei Kriegsverbrecher, die sich in der Wüste gegenübergestanden, sich aber Jahre später – als verbissene Geschäftsrivalen – nicht wiedererkannt hatten. Darin lag die ganze Ironie des Falls. Weshalb auch hätte King den millionenschweren Zeitungsverleger Lord Western mit einem unbedeutenden britischen Feldwebel in Verbindung bringen sollen? Weshalb hätte Western in dem Magnaten King den betrunkenen Deutschen mit dem Maschinengewehr wiedererkennen sollen?
Wenn King jetzt vor Gericht landete, würde die ganze Geschichte ans Licht kommen. Und beiden Tätern würde hoffentlich die verdiente Strafe zuteil werden. Leo mochte Champagner trinken und triumphieren, sie jedoch sah keinen Anlaß, etwas zu feiern. Dafür hatte es zu viele Opfer, zu viele Verlierer gegeben. Kings Geständnis würde sie für lange Zeit verfolgen, vielleicht würde sie es nie vergessen können … »Ich habe einfach meinen Finger am Abzug gelassen und die Puppen tanzen lassen … so viel Staub …« Seine wegwerfende Äußerung über Jean Adams: »Sie wollte es nicht anders. Was hat sie sich eingemischt, die dumme Kuh …« Sie war einen entsetzlichen, entwürdigenden Tod gestorben. Und die arme Phyllis Lowe – so verliebt, so verblendet. Sie hatte ihr Leben in geistiger Umnachtung beendet. Nein, dachte Julia, es gab keinen Grund zu feiern. Außer daß allen Toten endlich Gerechtigkeit widerfahren würde.
Das Surren des Telefons ließ sie hochschrecken. Es war Leo Derwent. Er schien sich in Hochstimmung zu befinden und wirkte leicht betrunken.
»Julia? Haben Sie sich das Band schon angehört?«
»Ja«, antwortete sie. »Sie können es sich jederzeit abholen. Ich gehe jetzt allerdings ins Bett.«
»Wir werden es nicht mehr brauchen«, sagte er. »Kommen Sie schnell hierher. Der Kerl ist tot.«
Gloria wartete auf ihren Vater. Sie mochte nicht ins Wohnzimmer gehen, wo sich ihre Mutter irgendeine banale Quiz-Show ansah. Wie sie die hirnlose, hoffnungslos oberflächliche Art ihrer Mutter verachtete! Sie nahm sich ein Wirtschaftsmagazin vor, aber ihre Gedanken schweiften doch immer wieder zu diesem geheimnisvollen Treffen ab.
Leo hatte ihr partout nicht sagen wollen, was es mit ihrem Vater zu besprechen gab. Er hatte lediglich hie und da ein paar Andeutungen fallenlassen – Hinweise, daß es um sie ging. Und dann all diese verschwörerischen Blicke, die fordernden Küsse, mit denen er ihr den Mund verschlossen hatte, sobald sie genauer nachfragen wollte … Sie schaltete den Fernseher ein, ging die verschiedenen Kanäle durch, fand jedoch nichts, was sie interessierte. Falls Leo beabsichtigte, ihr einen Antrag zu machen, würde sie ihn annehmen? War die Ehe es wert, daß sie ihr Zuhause aufgab, ihre Beziehung zu ihrem Vater aufs Spiel setzte und das Feld ihrer dümmlichen Mutter überließ? Unschlüssig schwankte sie hin und her. Sie sehnte sich nach Leo, wollte aber auch den Vater nicht verlieren. Wo er nur blieb? Sie hatte ihn spätestens bis zum Abendessen zurückerwartet.
Und jetzt war es schon nach neun. Ob sie sich gestritten hatten? Vielleicht war etwas passiert. Sie griff zum Telefon und wollte die Nummer des Regent Hotels wählen, als sie hörte, wie die Eingangstür geöffnet wurde. Sofort sprang sie auf und lief hinaus in den Flur. Stocksteif stand ihr Vater da. Er machte keine Anstalten, seinen schweren Mantel auszuziehen. Sein Gesicht sah rot und verquollen aus, seine Augen blickten trübe. Erschrocken eilte Gloria auf ihn zu und nahm ihn beim Arm.
»Daddy? Daddy, was ist mit dir? Bist du krank?« Er antwortete nicht. Er starrte sie einfach nur aus seinen blutunterlaufenen Augen an, legte einen Arm um sie und drückte sie fest an sich.
»Daddy, was ist los? Um Himmels willen, sag doch etwas!«
»Ich bin in Ordnung«, brachte er schweratmend hervor. »Stell mir nur keine Fragen. Beachte mich gar nicht. Warte bis morgen. Du bist mein gutes Mädchen, ich
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