Die Entlarvung
rührte Alkohol nicht an. Er war ein eingefleischter Abstinenzler.
Für ihre Abendgarderobe wählte Julia einen kurzen schwarzen Rock, ein mit Pailletten besetztes Top und dazu lange Straßohrringe, die sich von ihrem schimmernden Haar wie Wasserkaskaden abhoben. Felix pfiff anerkennend, als sie sich ihm präsentierte, und meinte: »Du siehst fabelhaft aus. Solltest mich öfter ausfuhren. Und wie gefallt dir mein Anzug? Brav und konservativ, so wie es sich gehört?«
»Nein, sehr elegant. Du siehst gut darin aus. Laß uns gehen. Wir können in der Bar noch etwas trinken und uns ein wenig umschauen.«
Während sie in Julias Wagen saßen, fragte er beiläufig: »Was hast du vor? Du kannst mir doch nicht erzählen, daß wir Londons teuersten Schuppen auf Kosten deines Chefs heimsuchen, nur um uns die Dekoration anzuschauen. An wem bist du interessiert?«
Sie gab sich Mühe, möglichst gleichgültig zu klingen. »An Harold King. Man hat mir erzählt, daß er hinter einem Lordtitel her sein soll. Hast du auch etwas davon gehört? Der Mann gibt vielleicht ein interessantes Porträt ab.«
Er runzelte die Stirn: »Nein, ich habe nichts davon gehört. Ich kann es auch nicht glauben. Der Kerl ist ein Gauner, niemand würde ihm diese Ehre erweisen. Unser System ist zwar lausig und ungerecht, aber so weit ist es nun doch noch nicht gekommen, daß eine Person wie er in den Adelsstand erhoben wird. Du willst einen Bericht über ihn schreiben?«
»Nein, im Moment ist es nur eine Idee. Vielleicht untersuchen wir demnächst einmal genauer, nach welchen Kriterien jemand zum Lord ernannt wird.«
»Oh, ich verstehe.« Er lehnte sich in seinem Sitz zurück. »Die ›Enthüllungen‹ auf der Spur von Korruption und Bestechung bei der Vergabe von Lordtiteln. Tolle Sache, Julia – solange du nicht selbst eines Tages adelig gesprochen werden möchtest … Diese Leute haben ein gutes Gedächtnis.«
»Oh, la, la«, rief Felix und sah sich begeistert um. »Hier gefallt es mir. Man könnte sich direkt daran gewöhnen, meinst du nicht?«
Sie befanden sich in einem großen, holzverkleideten Raum. Überall standen bequeme Sofas und Sessel, an den Wänden hingen Gemälde, auf denen Jagd- und Tournierszenen dargestellt waren. Auf den Tischen sah man frische Blumen und diverse Zeitungen, eine perfekte Imitation des englischen Landhausstils und ein reizvoller Kontrast zu der eleganten italienischen Aufmachung des Restaurants im unteren Stockwerk. Eine Bar gab es nicht; die Getränke wurden bestellt und an die Tische gebracht.
Julia entdeckte sie in einer Ecke des Raums – Harold King, seine Frau und seine Tochter. Sie kannte ihn vom Fernsehen und von Fotos her, aber in Wirklichkeit sah er doch anders aus. Er war größer, als sie angenommen hatte, und hatte nur noch spärliches weißes Haar, das kranzförmig seine Halbglatze umgab. Seine buschigen Augenbrauen waren ebenfalls weiß. Unter schweren Lidern schauten ein Paar blaßfarbene Augen hervor. Es war ein markantes, häßliches Gesicht mit einem Doppelkinn, das bis zu Kings Kragen reichte. Er war korpulent und hatte breite Schultern. Seine lederne Haut war tiefgebräunt – ob es sich um eine natürliche oder künstliche Bräune handelte, konnte Julia nicht feststellen. Er saß mit gespreizten Beinen in einem Sessel, aus dem er förmlich herauszuquellen schien. Während er sprach, gestikulierte er heftig. Zu seiner Rechten saß eine schmächtige dunkelhaarige Frau, die ihm angestrengt zuhörte, dabei unaufhörlich lächelte und gelegentlich mit dem Kopf nickte. Sie war sehr elegant gekleidet und trug eine riesige Brosche aus Rubinen und Diamanten. Wenn sie die Hand hob, versprühte ein großer Saphirstein blaue Funken. Kings Frau, mit der er seit zweiunddreißig Jahren verheiratet war. Marilyn, ein ehemaliges Model und eine zweitklassige Ex-Schauspielerin. Es war kaum vorstellbar, daß diese zerbrechliche Gestalt mit ihrer zarten Figur und dem schmalen, stark geschminkten Gesicht die Mutter der gewichtigen Blondine sein sollte, die auf der anderen Seite Kings saß. Gloria, ein äußerst unpassender Name für eine Frau, die eigentlich wie ein Mann – und dazu genau wie der Vater – aussah. Sie hatte weißblondes Haar, die gleichen blaßfarbenen Augen, die gleiche ausladende Körperstatur und unförmige Beine. Sie trug eine goldene Halskette und um ihre Handgelenke Armreifen, die an ihr wie Fesseln wirkten. Sie wandte den Blick nicht von ihrem Vater. Ihre Augen hingen bewundernd an
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