Die Entlarvung
Liebling?«
Julia lächelte. Warum sollte sie ihnen nicht von Ben erzählen? Sie würden sich freuen, besonders ihre Mutter, die so große Stücke auf die Ehe hielt. »Sein Name ist Ben Harris«, erklärte sie. »Wir arbeiten zusammen. Im übrigen muß ich euch noch sagen, daß Felix und ich uns getrennt haben.«
»Gott sei Dank«, rief ihr Vater aus. »Ich fand ihn ziemlich flegelhaft – so überzeugt von sich. Ich habe damals nichts gesagt …«
»Lieber, guter Dad, das war auch gar nicht nötig. Dein Gesichtsausdruck hat Bände gesprochen. So schlecht war er eigentlich nicht. Ich denke, er braucht eine Frau, die jünger ist als er und die nicht dauernd mit ihm wetteifert.«
»Und nicht immer gewinnt«, warf ihre Mutter ein. Sie war sehr klug, wie Julia wußte. Ihre vielfaltigen Erfahrungen mit dem Leben und mit anderen Menschen spiegelten sich in ihren Einsichten wider.
»Und nicht immer gewinnt«, gab Julia zu. »Ben ist ganz anders. Er ist älter, er hat eine gute Stelle, und wir verstehen uns gut. Ich glaube, daß er euch gefallen wird. Oder sagen wir, ich hoffe es, da ich ihn sehr mag.« Sie lächelte ihre Eltern an.
»Er ist nicht etwa verheiratet, oder?« erkundigte sich ihre Mutter skeptisch.
»Nein, Mum«, erwiderte Julia sanft. »Er ist schon seit langem geschieden. Im Moment ist er in Birmingham bei seiner Tochter. Sie hat ein paar Probleme, bei denen er ihr helfen will. Irgendwann bringe ich ihn einmal mit.«
»Ach ja, bitte. Wir würden ihn sehr gerne kennenlernen.«
Sie hatten in einem Hotel gegessen und waren in fröhlicher Stimmung zurückgekehrt. Die Distanz, die sich während der letzten Jahre in ihr Verhältnis eingeschlichen hatte, schien weitgehend überwunden zu sein. Zu Julias Erleichterung harten sie auch nur am Rande über ihren Bruder, seine Frau und die Kinder gesprochen, während ihre Eltern früher von nichts anderem zu reden gewußt hatten. Sie war dann immer leicht verärgert und eifersüchtig gewesen und hatte sich ausgeschlossen gefühlt. Seit sie jedoch an jenem Sonntag, als sie von Felix wieder einmal versetzt worden war, Trost bei ihren Eltern gesucht hatte, war das Verhältnis zwischen ihnen kontinuierlich besser geworden, und es gab keinen Grund mehr, eifersüchtig zu sein. Ben würde ihre Eltern mögen, da war sie sich sicher.
Er hatte ihr am Telefon von der Begegnung mit seiner Tochter erzählt. Seine Haltung überraschte sie. Sie hätte nicht gedacht, daß er so väterlich sein konnte. Er schien sich über die Schwangerschaft zu freuen und war stolz auf seine couragierte Tochter, die sich nicht für den leichteren Weg entschieden hatte. Enthusiastisch lobte er auch Lucys Arbeiten, in denen sie viel Talent und Originalität bewiesen. Bevor Julia auch nur einen Hauch von Eifersucht verspüren konnte, erkundigte er sich schon nach ihr und gestand ihr, daß er sie vermisse. Bevor er auflegte, fügte er noch schnell hinzu, daß er sie liebe.
Typisch Ben. Zärtlichkeiten fielen ihm immer noch etwas schwer. Sie ging früher zu Bett als sonst, weil ihr Vater müde aussah. Er war beinahe siebzig, ein Umstand, den sie oft nicht wahrnahm. Seit sie jedoch in Ben verliebt war, schaute sie genauer hin, achtete viel mehr auf andere.
Sie erwachte zeitig, machte sich Frühstück und verließ leise das Haus, damit ihre Eltern in Ruhe weiterschlafen konnten. Auf dem Küchentisch hatte sie eine kleine Nachricht hinterlassen: Ich komme bald wieder. Es war wunderschön bei Euch. Unterschrieben mit ihrem Kosenamen – Juliette. Sie fuhr die Straßen entlang, die zu dieser Stunde noch menschenleer waren. Aus dem Radio erklang Musik. Ein strahlender Herbsttag kündigte sich an; zu beiden Seiten der Straße flammten die Bäume in leuchtendem Rot und Gelb auf, während die Sonne allmählich höher stieg. Sie schaltete auf einen Nachrichtensender um, als die Randbezirke Londons vor ihr auftauchten. Der Sprecher verkündete die üblichen Meldungen – ein leichter Aufschwung der Wirtschaft, eine Bombenexplosion in Belfast, Palästinenseraufstände im Gaza-Streifen, ein Anstieg der Londoner Kriminalitätsrate.
Und ein Mord an einer älteren Witwe in Midhurst.
Ben erwartete Julia in ihrem Büro.
»Ben?« Sie lief lächelnd auf ihn zu, überrascht, daß er so früh zurückgekommen war. »Seit wann bist du wieder hier? Ich dachte, du wolltest erst heute morgen …«
»Jean Adams ist tot«, sagte er. Julia starrte ihn entgeistert an. »Letzte Nacht ist jemand bei ihr eingebrochen und
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