Die Entlarvung
hatten sie blaue Flecken davongetragen, wenn sie nur einen Augenblick unachtsam gewesen waren.
»Bringt mir etwas zu essen«, herrschte er sie an. Sie kannten seine Vorlieben. Wenn er zu Hause war und keinen Besuch hatte, vor dem er angeben mußte, aß er am liebsten Junk Food – Burger, Pommes Frites, Eier … billiges Zeug, von dem er schon in seiner Jugend geschwärmt hatte.
Er schenkte sich ein Glas Whiskey ein. Irischen Whiskey, der in der Kehle brannte und von innen her aufwärmte. Aber nur ein kleines Glas – zum Auflockern. »Kümmere dich darum, Joe. Keine eidesstattliche Erklärung!« Schläge würden nicht ausreichen. Er hatte Kings Gedanken gelesen und wußte, was sein Boß erwartete. Auf die schnelle konnte er niemanden für den Auftrag engagieren. Dies war kein Job für irgendeinen geldgierigen Taugenichts, der vielleicht alles vermasselte. Nein, ein Experte war gefordert. Deshalb hatte er sich selbst angeboten. Er aß in der Küche und spülte die Reste seiner Mahlzeit mit einer Tasse starken Tee hinunter. Die Mädchen sahen immer noch ängstlich aus. Ihr Unbehagen erregte ihn. Ihm gefiel es, wenn Frauen sich vor ihm fürchteten. Auf einmal wußte er, wie er seinen Auftrag ausführen würde. Er schaute auf seine Rolex, ein Geschenk, das er sich selbst gemacht hatte.
Es war halb zehn. Noch vor elf würde er in Midhurst ankommen.
»Ich gehe aus«, verkündete er. »Ihr zwei Teerpuppen wartet auf mich, klar? Wenn ich zurückkomme, möchte ich etwas Spaß haben …« Er stand auf, trat auf die Mädchen zu und kniff sie in die Wangen. Er hatte die beiden erst einmal darüber aufklären müssen, was der Ausdruck ›Teerpuppe‹ bedeutete. In Dubliner Kreisen bezeichnete man damit farbige Mädchen, die aus den ehemaligen Sklavereistaaten Amerikas nach Europa exportiert worden waren. Seine Mädchen haßten es, wenn er sie so nannte. Er verharrte einen Augenblick bei Tina, der älteren der beiden. Sie war seine Favoritin. »Mach dich bereit für mich. Ich habe heute ganz besondere Wünsche.«
»Ich erfülle sie dir alle, Joe Baby«, versprach sie. Provozierend ließ sie die Zunge über ihre Lippen gleiten. Nachdem er gegangen war, schüttelte sie den Kopf und sah zu ihrer Freundin hinüber.
»Eines Tages beiße ich ihm sein Ding ab«, zischte sie.
»Das ist hoffentlich nicht dein Ernst«, erwiderte das andere Mädchen. »Er würde dich umbringen. Was ist eigentlich los? Wo will er hin?«
»Er wird sich irgendeinen armen Schlucker vorknöpfen«, lautete die Antwort. »Danach ist er dann immer besonders angeturnt. Komm, wir schauen, was es im Fernsehen gibt.«
Jean Adams saß beim Kamin und aß ihr Abendbrot, das sie sich auf einem Tablett hergerichtet hatte. Sie hatte Poppit ins Zimmer gelassen, damit sich das Welpenmädchen neben Daisy niederlassen konnte. Die alte Hündin hatte nur kurz den Kopf gehoben, einmal geschnüffelt und war dann wieder eingeschlafen. Es war warm und friedlich im Zimmer. Jean genoß das Fernsehprogramm. Sie liebte Krimiserien und verpaßte nie eine neue Folge. Später würde sie sich noch die Nachrichten ansehen und – wenn sie nicht zu müde war – die Newsnight. Danach war endgültig Schlafenszeit. Die alte Hundedame schlief bei ihr im Zimmer neben der Heizung, das Hundebaby unten in der Küche, wo sie den Boden mit Zeitungen ausgelegt hatte – wegen eventueller kleiner Malheure. Poppit war noch sehr jung und noch nicht die ganze Nacht über stubenrein.
Jean war zufrieden mit sich. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, die im Einklang mit ihrem Gewissen stand. Von nun an würde sie ohne Schuldgefühle schlafen können. Um halb zwölf ließ sie die Hunde ein letztes Mal hinaus in den Garten, damit sie sich erleichtern konnten. Dann schloß sie ab.
Von seinem Auto aus beobachtete Joe Patrick, wie das Licht erst im unteren Stockwerk des Hauses verlosch, danach im oberen. Er wartete.
Um zehn vor zwölf brach er durch das Küchenfenster in das Haus ein.
»Du strahlst ja so«, bemerkte der Vater, als Julia nach ihrem langen Telefonat zurück ins Wohnzimmer kam. Sie hatte den Anruf oben entgegengenommen. Ihre Eltern hatten vielsagende Blicke miteinander ausgetauscht. Julia war mit Blumen für ihre Mutter und einer Flasche Malzwhiskey für ihren Vater angekommen. Sie sah entspannter und glücklicher aus denn je. Ihre Eltern ahnten, daß die Veränderung nicht mit Julias neuer Karriere zusammenhing. Die Mutter konnte ihre Neugier nicht bezähmen.
»Wer war das,
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