Die Entlarvung
Fetzen aus ihrer Tasche – der, wie Ben vermutete, von einer Toilettenpapierrolle stammte – und putzte sich die Nase. »Du bist ein Schatz, Dad. Du wirst sehen, ich mache einen guten Abschluß und suche dann einen Job. Ich werde dir nicht lange zur Last fallen, mein Wort darauf.«
»Red keinen Unsinn! Es ist auch mein Enkelkind, nicht wahr? Was ist mit dem Vater? Steht er dir zur Seite?«
Lucy schüttelte den Kopf. Ben spürte, wie ihn die Wut packte. »Nein, er hat sich von mir getrennt. Ich bin ihm deswegen nicht böse. Er hat schon genug am Hals mit seinen drei Kindern. Es ist besser, wenn ich lerne, auf eigenen Füßen zu stehen. Ich habe keine Angst, nur wußte ich erst nicht, woher ich das Geld nehmen sollte. Ich möchte das College nämlich unbedingt beenden. Du bist mein Retter, Dad.«
»Keine Ursache.« Er lächelte sie an. Sie war eine selbstbewußte, eigenverantwortliche junge Frau von heute, deren Verletzlichkeit ihn fast mehr berührte als ihre Courage. Er wünschte, er hätte ihre Entwicklung mitverfolgen können. Überrascht sah er auf, als sie sich nun nach ihm erkundigte.
»Und wie steht es mit dir? Wie sieht dein Leben aus?«
»Oh, mir geht es gut. Ich habe einen interessanten Job, bei dem ich viel Geld verdiene. Ich kann mich nicht beklagen.«
»Hast du eine Freundin?« fragte Lucy weiter. »Mich wundert es, daß du nicht längst wieder verheiratet bist.«
»Auf dem Gebiet war ich, wie du weißt, nicht sonderlich erfolgreich. Außerdem wollte mich niemand haben …« Er sah sie an. »Aber jetzt hat sich einiges geändert. Ich habe jemanden kennengelernt – eine ganz besondere Frau. Wir stehen erst ganz am Anfang und haben uns auf nichts festgelegt. Aber wir wollen sehen, was daraus wird. Ich würde sie dir gern eines Tages vorstellen.«
»Das wäre schön«, entgegnete Lucy. »Wir kommen euch besuchen, mein Baby und ich.« Er bemerkte, was für ein attraktives Lächeln sie hatte, und stellte erleichtert fest, daß die Sorgenfalten von ihrem Gesicht verschwunden waren.
Eigentlich hatte er vorgehabt, den Abend in Birmingham mit ein paar ehemaligen Kollegen zu verbringen. Nun aber änderte er seine Pläne.
»Wir wollen zahlen«, sagte er zu seiner Tochter. »Ich würde gerne einige deiner Arbeiten sehen. Und danach lade ich dich zum Essen ein. Was hältst du davon?«
»Ich habe die Mappe in meiner Wohnung«, erwiderte sie eifrig. Sie studierte Textildesign. »Und die Einladung zum Essen nehme ich gern an. Ich esse im Moment für zwei«, gestand sie unter Kichern. Sie verließen das Café. Während sie die Straße entlanggingen und nach einem Taxi Ausschau hielten, nahm Lucy Bens Arm und hakte sich bei ihm ein.
Joe Patrick war mürrisch und schlecht gelaunt, nachdem Harold King gegangen war. Ein schwieriger Job machte ihn immer nervös, reizbar. Er hatte so wenig Zeit, sich vorzubereiten. Innerlich verfluchte er Harold King, für den er wieder einmal den Kopf hinhalten mußte. Als eines seiner Mädchen hereinkam, um ihn etwas zu fragen, schüttelte er drohend die Faust. Das verdutzte Mädchen verließ fluchtartig den Raum. Er versank erneut in seine Grübeleien, erhob sich dann aus dem Sessel, um Julia Hamiltons Nummer zu wählen. Er durfte seine anderen Aufgaben nicht vernachlässigen, nur weil King ihn mit dieser heißen Sache betraut hatte. Julia Hamiltons Telefon war noch nicht präpariert. Die Detektei hatte gemeldet, daß sie mit einer kleinen Reisetasche aus ihrer Wohnung gekommen war und London in ihrem Wagen verlassen hatte. Um sieben Uhr an diesem Abend war sie auf der M 25 gesehen worden. Er ließ es viermal klingeln, dann schaltete sich Julias Anrufbeantworter ein. Angespannt hörte er sich die etwas ungewöhnliche Nachricht an.
»Ben, Darling. Ich übernachte heute bei meinen Eltern. Ruf mich bitte an.« Sie nannte die Nummer, die aus einer Vorwahl und vier Ziffern bestand. »Ich hoffe, bei dir ist alles gutgegangen. Alles Liebe, J.« Die Wohnung stand leer. Er konnte seinen Techniker jetzt hinschicken – zusammen mit dem Experten für Türschlösser, der Julia Hamiltons Wohnungstür schon einmal geöffnet hatte. Eine bessere Gelegenheit gab es nicht, um sowohl die Telefone als auch die Räume mit Wanzen zu versehen. Julia Hamilton würde nicht einmal mehr niesen können, ohne daß er davon erfuhr.
Er beschloß, etwas zu essen. Ungeduldig rief er nach den Mädchen, die mit ängstlichen Gesichtern hereinkamen. Sie wußten, daß er unberechenbar war. Oft genug schon
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