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Die Entmündigung (German Edition)

Die Entmündigung (German Edition)

Titel: Die Entmündigung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gemacht hatte. Am 15. war eine Zahlungsaufforderung ergangen. Die Portiersfrau hatte sie verspätet Herrn d'Espard übergeben, der das für ein Mißverständnis hielt, ohne an ein böses Vorgehen von seiten des Mannes zu glauben, bei dem er seit zwölf Jahren wohnte. Der Marquis wurde von einem Gerichtsvollzieher verhaftet, während sein Kammerdiener den Mietzins zu dem Hauseigentümer brachte. Diese, den Personen, mit denen er wegen seines Unternehmens in Berührung kam, hinterlistig mitgeteilte Verhaftung hatte einige von ihnen in Angst versetzt, die schon an der Zahlungsfähigkeit des Herrn d'Espard zweifelten, und zwar wegen der großen Beträge, die, wie man sagte, der Baron Jeanrenaud und seine Mutter ihm abnahmen. Der Verdacht der Mieter, der Gläubiger und des Hauseigentümers war übrigens beinahe gerechtfertigt durch die große Sparsamkeit, die der Marquis sich in seinen Ausgaben auferlegte. Er lebte wie ein ruinierter Mann. Seine Diener bezahlten in dem Bezirk sofort alle nötigen Ausgaben für den Lebensunterhalt und benahmen sich wie Leute, die keinen Kredit verlangen; hätten sie, was es auch immer gewesen wäre, auf ihr Wort verlangt, sie hätten eine Ablehnung erfahren, so sehr hatte das verleumderische Geschwätz in dem Viertel Glauben gefunden. Es gibt Kaufleute, die bei ihrer Kundschaft Leute gernhaben, die schlecht bezahlen, wenn sie in ständigen Beziehungen zu ihnen stehen, während sie hervorragende hassen, die sich in einer zu hohen Stellung halten, um ihnen Vertraulichkeiten zu gestatten. So sind die Menschen. Fast in allen Gesellschaftsklassen gewähren sie Gevattern und niedrigen Seelen, die ihnen schmeicheln, die Gunst, die sie der sie verletzenden Überlegenheit verweigern, worin sie sich auch verrät. Der Ladenkaufmann, der gegen den Hof zetert, hat auch seine Höflinge. So mußte das Wesen des Marquis und seiner Kinder eine üble Gesinnung bei seinen Nachbarn hervorrufen und sie unmerklich zu einem Grade von Böswilligkeit bringen, die die Leute vor keiner Niedrigkeit mehr zurückschrecken läßt, wenn sie dem Gegner, den sie sich ausgewählt haben, schadet. Herr d'Espard war ein Edelmann, wie seine Frau eine große Dame war: zwei herrliche Typen, die in Frankreich schon so selten sind, daß der Beobachter die Personen zählen kann, die sie vollkommen repräsentieren. Diese beiden Persönlichkeiten stützten sich auf ursprüngliche Ideen, auf einen sozusagen eingeborenen Glauben, auf von Kindheit her angenommene Gewohnheiten, die nicht mehr existieren. Um an die Reinheit des Blutes zu glauben, an eine privilegierte Rasse, um sich im Geiste über die andern Menschen zu stellen, muß man da nicht von Geburt an den Zwischenraum abgemessen haben, der die Patrizier von den Plebejern trennt? Um zu befehlen, muß man nicht seinesgleichen nie gekannt haben? Und ist es schließlich nicht erforderlich, daß die Erziehung die Ideen einprägt, die die Natur den großen Männern einflößt, denen sie eine Krone auf die Stirn gesetzt hat, bevor ihre Mutter einen Kuß darauf drücken konnte? Solche Gedanken und solch eine Erziehung sind nicht mehr möglich in Frankreich, wo der Zufall sich das Recht angemaßt hat, einen Adel zu schaffen, indem er jemand in das Blut der Schlachten taucht, ihn mit Ruhm schmückt und mit der Aureole des Genies krönt; wo die Abschaffung der Nacherben und der Majorate, indem es die Erbschaften zerstückelt, den Edelmann zwingt, sich mit den Staatsgeschäften zu befassen, und wo die Größe der Persönlichkeit nur durch eine lange und ausdauernde Arbeit erreicht wird: eine ganz neue Ära. Als ein Trümmerstück der großen Körperschaft, Feudalwesen genannt, verdiente Herr d'Espard respektvolle Bewunderung. Wenn er sich seinem Blute nach für die andern Menschen überragend ansah, so glaubte er in gleicher Weise auch an alle Verpflichtungen des Adels; er besaß die Tugenden und die Kraft, die er verlangte. Er hatte seine Kinder in seinen Grundsätzen erzogen und hatte ihnen von der Wiege an die Religion seiner Kaste eingeimpft. Ein tiefes Gefühl ihrer Würde, der Stolz auf ihren Namen, die Gewißheit, von Natur zu den Großen zu gehören, hatten bei ihnen einen königlichen Stolz erzeugt, den Mut der Helden und die Schutz gewährende Güte der großen Schloßherren; ihr Wesen, in Übereinstimmung mit ihrer Anschauung, die auch Fürsten wohl angestanden hätte, verletzte jedermann in der Rue de la Montagne-Sainte-Genevieve, dem Lande der Gleichheit, wenn es eine solche

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