Die Entmündigung (German Edition)
Bevor ihr Vater erwachte, gegen neun Uhr, spielten die beiden Brüder im Garten. Clément verteidigte sich nur schwach gegen das Drängen seines Bruders, der zum erstenmal auf dem Schießstand gehen wollte und von ihm die Unterstützung seiner Bitte bei dem Marquis verlangte. Der Vicomte mißbrauchte immer ein wenig seine Schwäche und machte sich ein Vergnügen daraus, mit seinem Bruder zu kämpfen. Beide begannen also, sich zu zanken und zu schlagen, indem sie wie Schuljungen spielten. Während einer hinter dem andern im Garten herlief, machten sie genügend Lärm, um den Vater zu wecken, der sich ans Fenster stellte, ohne von ihnen, Dank der Hitze des Kampfes, bemerkt zu werden. Dem Marquis machte es Freude, seine beiden Kinder zu beobachten, die sich wie ein paar Schlangen umfaßt hatten und durch die Entfaltung ihrer Kräfte belebte Mienen zeigten: ihre Gesichter waren weiß und rosig, ihre Augen schleuderten Blitze, ihre Glieder wanden sich wie Stricke im Feuer; sie fielen zu Boden, erhoben sich wieder, packten sich von neuem wie zwei Athleten im Zirkus und verursachten ihrem Vater ein Gefühl des Glücks, das die lebhaftesten Sorgen eines bewegten Lebens belohnte. Zwei Personen, die eine im zweiten, die andere im ersten Stock des Hauses, sahen in den Garten hinab und sagten sofort, der alte Verrückte mache sich einen Spaß daraus, seine Kinder sich prügeln zu lassen. Sofort erschienen mehrere Köpfe an den Fenstern; der Marquis sah hin und rief seinen Söhnen ein Wort zu, die sofort zu seinen Fenster hinaufkletterten und in sein Zimmer sprangen, und Clement erhielt sogleich die von Camille erbetene Erlaubnis. Im Hause aber wurde nur über den neuen Zug von Wahnsinn des Marquis Lärm gemacht.
Als Popinot sich gegen Mittag, begleitet von seinem Gerichtsschreiber, an der Tür, wo er nach Herrn d'Espard fragte, einfand, führte ihn die Portiersfrau in den dritten Stock und erzählte ihm, daß Herr d'Espard diesen Morgen seine beiden Kinder sich habe prügeln lassen und dazu lachte, ein Monstrum wie er war, daß der jüngere den älteren blutig biß; gewiß hätte er gewünscht, daß sie sich umbrächten.
»Und fragen Sie mich warum!« fügte sie hinzu, »er weiß es selbst nicht.«
Als die Portiersfrau dem Richter dieses entscheidende Wort sagte, hatte sie ihn bis zum Treppenabsatz des dritten Stocks geführt vor eine mit Plakaten beklebte Tür, auf denen die einander folgenden Lieferungen der »pittoresken Geschichte Chinas« angekündigt waren. Dieser schmutzige Treppenabsatz, dieses unsaubere Geländer, diese Tür, an der die Druckerei ihre Spuren hinterlassen hatte, dieses zerbrochene Fenster und die Decke, an der die Lehrlinge sich den Spaß gemacht hatten, mit der rauchigen Flamme ihrer Kerzen Monstrositäten anzuzeichnen; die Haufen von Papier und Schmutz, die sich in den Ecken angesammelt hatten, absichtlich oder aus Nachlässigkeit; kurz, alle Einzelheiten des Bildes, das sich den Blicken darbot, paßte so gut zu den von der Marquise angeführten Tatsachen, daß der Richter, trotz seiner Unparteilichkeit, sich nicht hindern konnte, daran zu glauben.
»Hier sind Sie an Ort und Stelle, meine Herren, sagte die Portiersfrau, »und da ist die ›Manifaktur‹, wo die Chinesen essen, daß man den ganzen Bezirk damit ernähren könnte.«
Der Gerichtsschreiber sah den Richter lächelnd an, und Popinot hatte einige Mühe, seinen Ernst zu bewahren. Beide traten in das erste Zimmer, in dem sich ein alter Mann befand, der zweifellos gleichzeitig die Dienste eines Bureaudieners, eines Magazinaufsehers und eines Kassierers versah. Dieser Alte war das Faktotum von China. Lange Regale, auf denen die schon veröffentlichten Lieferungen sich häuften, schmückten die Wände dieses Zimmers. Im Hintergrunde bildete ein hölzerner vergitterter Verschlag, innen mit grünen Vorhängen versehen, ein Arbeitszimmer. Ein Schalter zum Einnehmen und Ausgeben der Taler zeigte die Stelle der Kasse an.
»Herr d'Espard?« sagte Popinot und wandte sich an den mit einer grauen Bluse bekleideten Mann. Der Magazingehilfe öffnete die Tür zum zweiten Zimmer, wo der Richter und sein Schreiber einen verehrungswürdigen Greis vorfanden, mit weißem Haar, einfach gekleidet, das Sankt-Ludwigskreuz auf der Brust, der an einem Schreibtisch saß und aufhörte, kolorierte Blätter zu vergleichen, um die beiden Eingetretenen zu betrachten. Dieses Zimmer war ein bescheidenes Bureau voller Bücher und Druckbogen. Es befand sich hier noch ein
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