Die Entscheidung
losgegangen war, gab es schon ein Dutzend Tote unter den amerikanischen Sondereinsatzkräften. Seit damals hatte er nie ein wirklich gutes Gefühl vor einem Einsatz – doch diese Mission hatte irgendetwas Sonderbares an sich, das er nicht wirklich hätte beschreiben können. Rapp spürte, dass er bereits eine Spur weniger entschlossen war als früher. Er war so viele Jahre voller Zorn gewesen – und er hatte diesen Zorn genutzt, um konzentriert und entschlossen an seine Aufgaben heranzugehen.
Sein Zorn war eine direkte Folge der Lockerbie-Katastrophe. Damals war Rapp noch Student an der Syracuse University gewesen. Fünfunddreißig seiner Kommilitonen waren bei dem Terroranschlag ums Leben gekommen, darunter auch seine Freundin. In dieser Zeit tiefer Trauer wurde Rapp von der CIA kontaktiert. Die Agency stellte ihm die Möglichkeit in Aussicht, sich an den Terroristen rächen zu können – und er packte die Gelegenheit beim Schopf. Das Ziel seiner Rache war Rafik Aziz – der Mann, der hinter dem Anschlag auf die PanAm-Maschine stand. Rapp hatte zehn Jahre darauf verwendet, diesen Terroristen zu jagen, und im vergangenen Frühling war es ihm endlich gelungen, ihn zu stellen. Aziz war tot, und Rapps Zorn war erloschen.
Das Gefühl des Zorns war von etwas ganz anderem ersetzt worden – etwas, von dem Rapp nicht mehr gedacht hatte, dass er es noch einmal empfinden könnte. Der Mittelpunkt seines Lebens hieß jetzt Anna Rielly – und was er für sie empfand, war das genaue Gegenteil von Hass. Sie war eine außergewöhnliche Frau. Eine Frau, die in einem Mann den Wunsch weckte, ein besserer Mensch zu sein – und Rapp wünschte sich sehr, ein besserer Mensch zu sein. Er wollte seine Arbeit für die CIA hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen.
Jane Hoffman nahm ihren Kopfhörer ab und verkündete: »Die ersten Gäste sind eingetroffen.«
Rapp warf einen Blick auf seine Uhr. Es war fünf Minuten vor acht, also etwa zweieinhalb Stunden, bevor es losging. Es war Zeit, sich noch einmal bei Irene Kennedy zu melden. Rapp griff nach seinem COMSAT-Mobiltelefon und ging ins Schlafzimmer.
Wenn Dr. Irene Kennedy aus dem Fenster ihres Büros im sechsten Stockwerk geblickt hätte, so wäre ihr aufgefallen, dass sich das Tal des Potomac mittlerweile in seinen schönsten Herbstfarben zeigte. Leider hatte sie in letzter Zeit kaum Gelegenheit gehabt, ein paar Sekunden innezuhalten und die kleinen Freuden des Lebens wahrzunehmen. Langley stand derzeit nicht nur von außen unter Druck, sondern hatte auch mit internen Problemen zu kämpfen. Es hatte sich herumgesprochen, dass Thomas Stansfield, der Direktor der CIA, schwer krank war. Die Kritiker auf dem Capitol Hill hatten Blut geleckt, und innerhalb der Agency hatte der Machtkampf um die Nachfolge bereits begonnen. Dr. Kennedy versuchte sich von dem Gerangel um Posten und Einfluss fern zu halten, was jedoch praktisch unmöglich war. Immerhin war es kein Geheimnis, dass sie und der Direktor sich sehr nahe gestanden hatten. Washington war eine Stadt, die seit jeher viel für dramatische Inszenierungen und Klatsch übrig hatte – und die Politiker taten sich dabei besonders hervor. Stansfields schwere Krankheit bewog nicht wenige von ihnen, Betroffenheit zur Schau zu stellen; manche gingen sogar so weit, Stansfield anzurufen und ihre Sorge zum Ausdruck zu bringen. Doch Irene Kennedy war nicht naiv. Sie hatte viel von Stansfield gelernt und wusste genau, dass niemand auf dem Capitol Hill ihren Chef mochte. Unter den Senatoren und Abgeordneten gab es viele, die ihn respektierten, aber keinen, der ihn mochte. Der neunundsiebzigjährige Direktor hatte niemanden von ihnen je nahe genug an sich herangelassen. Zunächst als stellvertretender Direktor der Operationsabteilung und später als Direktor der gesamten Central Intelligence Agency war Stansfield über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg in die Geheimnisse der höchsten politischen Kreise eingeweiht. Niemand hätte genau sagen können, wie viel er wusste, und im Grunde wollte es auch niemand wissen. Manche argwöhnten sogar, dass er ausführliche Akten über die politische Elite angelegt haben könnte, sodass er möglicherweise noch posthum einigen Leuten schweren Schaden zufügen konnte.
Doch dazu würde es nicht kommen. Stansfield hatte sich in seinem gesamten Berufsleben an den Grundsatz gehalten, Geheimnisse für sich zu behalten. Und von diesem Grundsatz würde er auch jetzt nicht abweichen. Diejenigen in Washington, die
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