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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Christo
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spät dafür.
    „Wir beide spazieren in aller Ruhe da rüber, und wenn auch nur ein Muskel in deinem Gesicht zuckt …“ Sie presste das Messer auf Höhe des Herzens gegen den Stoff, schnitt durch den Tarnanzug, bis es zwischen zwei Rippen auf blanker Haut liegen blieb.
    Abermals hörte sie ihn schlucken.
    „Bau keinen Scheiß, dann kommst du heute Abend mit einem Pflaster davon.“ Sie nahm ihm die Signalpistole ab, die er an einem Oberschenkelhalfter trug. Das Messer in der rechten, die Pistole in der linken Hand, lotste sie ihn Richtung Ausgang, während sie gleichzeitig Wind aufkommen ließ, der den Nebel verdichtete. Sie hörte verhaltenes Fluchen, Befehle wurden gebellt, dann zielte sie mit der Signalwaffe auf die Plane des Militärfahrzeugs zwanzig Meter hinter sich und lächelte. Rote Funken stoben auf und setzten das Verdeck in Brand. Ihre Geisel machte einen Hechtsprung zur Seite und schrie: „Elle est ici! Elle est ici!“ Sie ist hier!
    Zähneknirschend ließ sie das Messer verschwinden und gab einen zweiten Schuss mit der Signalpistole ab, diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Danach warf sie das Teil einem Soldaten an den Kopf, der durch den Dunst auf sie zutrabte. Immer mehr Stimmen wurden laut, doch in der Nebelsuppe war es schwer, die Geräusche richtig einzuordnen. Fluchend packte sie den bewusstlosen Soldaten am Arm und zog ihn zu einem der Posten, die den Ausgang abriegelten. Sie riss die Augen auf und fuchtelte wild mit den Armen.
    „Jemand hat auf euren Kameraden geschossen, ich glaube, er ist schwer verletzt“, rief sie und beugte sich über den ohnmächtigen Mann.
    „Sanitäter!“, rief einer der Soldaten. Zwei weitere kamen dazu, und joggten in die von Blanche gewiesene Richtung.
    „Niemand verlässt seinen Posten!“, brüllte ein Uniformierter rechts von ihr. „Sergeant Bellier, Sergeant Leroy!“
    Zu spät, dachte sie, schlüpfte durch die Lücke, und rannte die Rue Rivoli entlang zur nächsten Metrostation.
    „Elle est là-bas!“, rief jemand hinter ihr, dann folgten Schüsse.
    „Feuer einstellen, es befinden sich Zivilisten in der Zielzone!“
    Sehr wahr, dachte Blanche, die sich zur besseren Orientierung an der Häuserfront zu ihrer Rechten hielt. Mit einem mentalen Befehl ließ sie Wind aufkommen, der ihr im wahrsten Sinne des Wortes den Weg freimachte. Ein Tunnel tat sich vor ihr auf, während sie im Laufschritt die zahllosen Boutiquen der Einkaufsmeile hinter sich ließ.
    Unglücklicherweise hatte sie eine Armee im Kielwasser, die sich denken konnten, wohin sie flüchten würde. Wenn sie die Haltestelle links liegen ließ, musste sie zweihundertfünfzig Meter weiter laufen, um zur Station Hôtel de Ville zu kommen. Zu weit für einen Sprint, zumindest, wenn einem Militärfahrzeuge an den Hacken klebten.
    Immer mehr Nebel kam auf, langsam fragte sie sich, ob Tchort dahintersteckte. Andererseits war Wasser nicht sein Element. Ohne ihre Bändigungskräfte, wäre sie nicht in der Lage, auch nur einen Schritt zu gehen, denn mittlerweile war die Sicht gleich null. Das Militär verfügte jedoch über andere Möglichkeiten, wie Infrarot und Radar.
    Sie beschloss, den steinigen Weg zu gehen, und bog gegenüber von GAP in die Metrostation Châtelet ein – die wie zu erwarten bis an die Zähne bewacht war.
    Blanche ließ einen Sturmwind auf die wartenden Männer nieder, sodass sie wie Dominosteine rücklings übereinanderkippten, die Treppe hinunter bis zum Eingang der U-Bahn. Dort angekommen fiel ihr auf, dass ihr die Dunstwolke gefolgt war. Irritiert runzelte sie die Stirn. Wie schräg war das denn? Sie hatte ja schon viel gehört, aber Nebel in der Metro? Rauchbomben kamen nicht infrage, sie enthielten Reizgas, das auf Augen und Atemwege schlug. Nein, das hier war ordinärer Nebel, aber woher der kam, war ihr ein Rätsel. Und warum zum Henker folgte er ihr?
    Plötzlich schloss sich eine warme Hand um ihre, und ein Mund presste sich gegen ihr Ohr.
    „Blanca, moj ciomny aniol , folge mir.” Diese Stimme hätte sie überall und zu jeder Zeit erkannt. Ihr Herzschlag setzte aus, um sich im nächsten Moment zu verdoppeln.
    Mein dunkler Engel .
    Es gab nur einen Menschen, der sie so genannt hatte, und das war Andrej, den sie eigentlich am Ostbahnhof treffen sollte. Auch für das Blanca besaß er das Exklusivrecht, immerhin hatte er ihr den Namen verpasst. Blanca, die sich weigerte, zu reden. Blanca, die vergessen wollte. Blanca, die Weiße, die noch einmal von vorn

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