Die Entscheidung
Er näherte sich dem Kran, bis sie mit einem Sprung in der Kabine landete. Mittlerweile hatte sich der zweite Hubschrauber berappelt, dessen Scheinwerfer sich nun auf sie richtete.
Blanche zog die Glock aus dem Oberschenkelhalfter. Diesmal hinderte sie niemand daran, den Rotor zu zerlöchern. Der Flieger geriet ins Trudeln und schraubte sich in schnellem Sinkflug in die Mitte der Kreuzung. Kaum hatten die Kufen den Asphalt berührt, flüchteten die Männer aus der Maschine. Sie konnte es ihnen nicht verdenken. Ein Helikopter, der sich nicht kontrollieren ließ, war wie eine tickende Bombe.
Da sie davon ausgehen mussten, dass der Pilot die Zentrale über die jüngsten Ereignisse informiert hatte, verzichteten sie auf Festbeleuchtung, löschten die Lichter und verschmolzen mit der Schwärze der Nacht.
7
E twas früher an diesem Abend verließ Nella ein Taxi und stöckelte mit Brutus eine ausgestorbene Straße im fünfzehnten Arrondissement entlang. Es war nicht leicht gewesen, ihrem Aufpasser zu entkommen, der seit Wochen wie ein Schatten an ihr klebte. Nella hatte nichts gegen Ernesto, im Gegenteil. Die meisten von Enzos Männern nahmen sie nicht ernst oder sahen in ihr eine vorübergehende Laune ihres Herrn und Meisters, doch nicht Ernesto. Anfangs verhielt er sich neutral, war höflich und fuhr sie kommentarlos zum Friseur, Massage, selbst zum Waxing. Er beklagte sich nicht, rollte nicht mit den Augen, wenn sie etwas Dummes sagte, sondern blieb stets verbindlich. Enzo hatte ihn gut gewählt. Natürlich half es, dass Ernesto zu den besten Schützen gehörte und ein Spezialist im Nahkampf war. Ach ja, und er war schwul. Nicht, dass das allgemein bekannt war. Ein homosexueller Mafioso konnte so viel Respekt erwarten wie eine Stripperin beim Lapdance. Da sich Ernesto bereits in zahlreichen Schlachten bewiesen hatte, musste er nicht um Anerkennung buhlen, zumal er zu Enzos engstem Kreis gehörte. Dennoch – wenn seine sexuelle Vorliebe publik würde, wäre er Fischfutter, das war mal klar. In diesem testosterongeschwängerten Gewerbe, wo Männer stolz darauf waren, echte Macho-Ärsche zu sein, konnte ein warmer Bruder einpacken. Denn egal, was er in der Vergangenheit geleistet hatte, eher fror die Hölle zu, als dass ein waschechter Chauvi die Luft mit einem Schwuchtel teilte.
Allein Enzo wusste davon, und Nella. Ihr war nicht entgangen, wie Ernesto Lucas ansah, ihn manchmal heimlich beobachtete. Lucas war ihr zweiter Fahrer, schließlich brauchte Ernesto auch mal eine Auszeit. Das Tragische daran war, dass die zwei wegen ihrer Arbeitszeiten im Grunde nie zusammenkamen.
Während sie auf die Hausnummer 128 in der Rue de Rivoli zuhielt, nahm sie sich vor, Enzo darauf anzusprechen. Wenn er Lucas eine andere Aufgabe übertrug, konnte Ernesto ihn in seiner Freizeit besuchen – zumindest theoretisch.
In jedem Fall waren er und Nella so etwas wie Freunde geworden. Vor zwei Wochen hatte sie ihn während der Fahrt zum Therapeuten gefragt, seit wann er in Lucas verliebt wäre, und woher er wusste, dass es Liebe war. Daraufhin fuhr er seinem Vordermann auf, und sie hatten eine Dreiviertelstunde mit Formalitäten verbracht, sodass ihre Sitzung mit Professor Bernard ausgefallen war. Danach beschlossen sie, in ein Café zu gehen, um zu reden. Ernesto war geschockt und schien gleichzeitig erleichtert zu sein, in Nella eine Verbündete zu finden. Das machte es für sie umso schwerer, ihn in diesem Moment zu hintergehen. Vermutlich war ihm mittlerweile aufgefallen, dass sie ihn ausgetrickst hatte. Sie würde sich bei ihm entschuldigen, aber um ehrlich zu sein, brauchte sie eine Pause von dem permanenten Security-Stress. Mittlerweile ließ Enzo sie keine Minute aus den Augen. Wenn es um die Sicherheit seiner Familie ging, verstand er keinen Spaß.
Nella seufzte und betrat das helle Sandsteingebäude durch die Glastür. Vermutlich würde sie sich auch bei ihm entschuldigen müssen, doch diese wenigen Minuten Freiheit waren es ihr wert.
*
Kaum hatte Andrej das Steuer übernommen, benachrichtigte er jemanden über Funk. Da sie sich auf Ukrainisch unterhielten, verstand Blanche kein Wort. Sie bogen Richtung Süden ab, wobei Andrej die Maschine dicht über dem Boden hielt, um dem starken Flugverkehr zu entgehen. Normalerweise war der Pariser Luftraum gesperrt, aufgrund des Polizeieinsatzes riskierten sie jedoch eine Kollision mit anderen Fliegern. Dank des Tiefflugs waren sie vom Radar der Einsatzzentrale
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