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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Christo
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zusammen. Das war Andrej, ihr Beschützer, der sie in der U-Bahn gefunden, und sie all die Jahre am Leben erhalten hatte. Zum zweiten Mal starteten sie ihre Begegnung in der Metro, dabei war ihr nicht mal ein Blick auf sein Gesicht vergönnt gewesen. Hatte er sich verändert, so wie Cam? In jedem Fall war er groß geworden, sie schätzte ihn auf einsfünfundachtzig, so genau konnte sie das hier unten nicht sagen – schon gar nicht, wenn er auf ihr lag. Nachdem er ihr auf die Füße geholfen hatte, erzeugte sie eine Böe, um dem Qualm zu entgehen. Ohne einen Blick auf den Bahnsteig zu werfen, nutzten sie die Deckung, um am anderen Ende im Tunnel zu verschwinden. Nach fünfzig Metern ragte eine rostige Leiter aus der Decke. Andrej schwang sich hinauf und kletterte flink wie ein Eichhörnchen nach oben. An der Tunneldecke plagte er sich mit einem Metallrost ab, das Blanche mit einem gezielten Windstoß aus der Fassung warf. Andrej drehte sich zu ihr und sie sah weiße Zähne aufblitzen. Der Rest des Gesichts lag im Dunkeln – war ja klar.
    Nachdem sie den Zugang abgedeckt hatten, stellten sie fest, dass sie sich im verwaisten Treppenaufgang der U-Bahnstation befanden. Bereits auf den Stufen zum Boulevard de Sébastopol hörten sie das wilde Sirenengeheul zahlloser Einsatzwagen, das sich mit dem dumpfen Geräusch der Rotorblätter mischte. Die Luft roch nach Kerosin, Diesel und irgendwie metallisch – vermutlich durch die elektrostatische Aufladung.
    Während sie den Boulevard Richtung Norden entlangliefen, hielten sie sich dicht an den Häuserfronten. Linker Hand passierten die das Café Capitol, das den besten Café Américain der Stadt servierte. Selbst im Vorbeilaufen glaubte sie, den Duft frisch gemahlener Bohnen zu riechen.
    Im Schutz der Bäume schafften sie es bis zur Rue Papin, dort öffnete sich das Areal. Als hätten sie sie erwartet, schwebten über der Kreuzung zur Rue du Caire zwei Hubschrauber, die Suchscheinwerfer auf den Übergang gerichtet. Blanche, die ihre SIGs noch immer in Händen hielt, visierte den linken Heli an und zielte auf die Mitte des Rotors, doch Andrej legte eine Hand auf ihre ausgestreckte Waffe und drückte sie behutsam zu Boden.
    „Den brauchen wir noch“, sagte er, und abermals sah sie seine Zähne aufblitzen. Er machte den Eindruck, als würde er den Nervenkitzel genießen. Vor wenigen Wochen wäre diese Hetzjagd für sie ebenfalls ein Mordsspaß gewesen, doch im Moment war ihr das Ganze bloß lästig. Würde es sich nicht um einen Polizeieinsatz handeln, könnte sie sich den Weg freischießen. So, wie die Dinge lagen, war sie gezwungen, eine zivilisiertere Lösung zu finden, und das schmeckte ihr nicht. Warum sollte sie Rücksicht auf Beamte nehmen, die sich von der Mafia instrumentalisieren ließen?
    Seufzend steckte sie die Waffen zurück ins Schulterhalfter und folgte Andrej, der auf einen Baukran geklettert war. Blanche sah nach oben und schüttelte den Kopf. Hatte er im Ernst vor, da hochzukraxeln? Leise vor sich hinfluchend erklomm sie das Stahlgerüst, bis sie den Ausleger erreichten. Noch immer schwebten die Helikopter über der Kreuzung. Während sich die Suchscheinwerfer wie Fühler durch die Schwärze tasteten, zielten Männer in Tarnanzügen mit halb automatischen Präzisionsgewehren von Heckler auf die Kreuzung. Die Mündungen ihrer HK PSGs folgten dem Rhythmus der Suchscheinwerfer, als wäre der Lauf mit einem Faden am Lichtkegel befestigt.
    Andrej, der sich unmittelbar vor ihr auf dem Ausleger befand, wandte sich ihr zu und schenkte ihr ein freches Grinsen.
    „Showtime, Blanca.“
    Das musste er ihr nicht zweimal sagen. Sie zog die Brauen zusammen und konzentrierte sich auf ihr Element. Wind kam auf und spielte mit ihrem Haar. Sie atmete tief durch und drückte den rechten Hubschrauber mit einer Böe in die Rue Papin, während sie den anderen näher zum Kran brachte. Der Helikopter geriet in Schieflage und die drei Bewaffneten fielen durch die offene Luke in die Baugrube, die mit Planen vor Regen geschützt war. Das tat vermutlich höllisch weh, aber sie würden es überleben.
    Mit einem weiteren Windstoß stabilisierte sie den Heli und brachte ihn in Reichweite. Andrej zögerte nicht. Mit einem Hechtsprung setzte er in die offene Luke über, woraufhin der Flieger abermals ins Taumeln geriet. Einmal mehr brachte sie die Maschine in eine stabile Lage, während Andrej den Piloten mit einem beherzten Griff auf den Ausleger beförderte und sich ans Steuer setzte.

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