Die Entscheidung
war sie. Im wahrsten Sinne des Wortes. Eben stand sie noch da, Puff , im nächsten Moment war sie verschwunden.
13
N iemand versuchte, sie aufzuhalten oder stellte ihren Einsatz infrage. Cam ignorierte die strahlend weiße Lichtsäule, die aus dem Dach des Nordbahnhofs schoss und die halbe Stadt illuminierte. Die Soldaten starrten wie paralysiert in den sturmverhangenen Himmel, niemand wusste, was zu tun war. Fluchend trabte Cam an hochrangigen Offizieren vorbei und ordnete die Räumung des gesamten Areals an. Ob sie ihren über die Schulter geworfenen Befehl Folge leisteten oder nicht, war ihr egal. Unbehelligt betrat sie mit einem Dutzend Halbdämonen im Kielwasser die Eingangshalle. Wie auf einen stummen Befehl verteilten sie sich, während Cam den Recaller entsicherte und entschlossen zu den Gleisen schritt. Als die ersten Dämonen erschienen, war sie nicht überrascht, sie hatte damit gerechnet. Allerdings musste sie vorsichtig sein, sie durfte die Dämonenwaffe auf keinen Fall auf den Zirkel abfeuern – in Andrejs Richtung. Zwar war sein Körper hier auf der Erde, doch sein Verstand war momentan sprichwörtlich in der Hölle. Ihn dort gewaltsam herauszuholen, würde seine Hülle zurücklassen, während sein Geist für alle Ewigkeit im Hades gefangen wäre.
Cam war noch nie in der Hölle gewesen, doch was sie im Unterricht darüber gelernt hatte, klang nicht nach Freizeitpark. Zwar waren Andrej und die anderen zusammen da unten, doch ihr Geist war isoliert, lebte in seiner eigenen Realität. Denn das war Seatens stärkste Waffe, die Trennung. Kinder wurden von ihren Eltern entfernt, Ehepartner voneinander. Zusammen war die Menschheit stark, entzweite man ihre Mitglieder, zerbrach die Gemeinschaft und verzettelte sich in Streitigkeiten, die, wenn es Länder betraf, sogar in Kriegen enden konnten.
Das war das Erste, das man ihnen in Chartres beigebracht hatte, nachdem das Heim in Paris aufgelöst wurde. Sie wusste auch, dass Saetan nicht der Teufel war, sondern sein Sohn. Der Teufel hatte weder Namen noch Gestalt, genauso wenig wie Gott. Doch die beiden zeugten Söhne und Töchter, mehr als die Menschen ahnten. Und obschon es auf der Erde viele kleine Saetans gab, folgte nur selten einer seiner Bestimmung. Die meisten waren selbst absorbiert und mit so wichtigen Dingen beschäftigt, wie ihren Trieben nachzugehen. Das galt auch für die Kinder Gottes. Wer glaubte, Jesus sei die Ausnahme, befand sich auf dem Holzweg. Gott hatte eine Tonne Söhne und Töchter in diese Welt gebracht, doch die Mehrheit fand mehr Vergnügen am Körperlichen als im Geistigen und zeigte ihren Eltern den sprichwörtlichen Stinkefinger. Manche wurden Rockstars, andere Industriemoguln – wieder andere losten komplett ab und hingen an der Nadel, um zu vergessen, wer sie waren und wozu sie erschaffen wurden. Statt also Großes zu leisten, leisteten sie großen Bockmist.
Cam hatte keine Ahnung, wie Saetans Daddy auf dessen Absetzung reagieren würde, immerhin war er sein Sohn. Auf der anderen Seite hatte er mächtig Scheiße gebaut und seinen Vater blamiert. Der Teufel sah schlecht aus, und bei der Vorstellung, wie sie im Himmel über ihn kicherten, hatte er wahrscheinlich einen Hals. Stellte sich die Frage, ob er den Sturz seines Sohnes verhindern oder ob er ihn fallen lassen würde. Saetan hatte versagt. Der Teufel wusste das, die Dämonen sowieso, und Gott – na ja, der wusste es vermutlich vor allen anderen.
Cam konnte nicht beeinflussen, was sich im Hades tat, aber sie konnte verdammt noch mal verhindern, dass die Höllenbrut wie eine Nemesis über die Erde kam.
Auf den Gleisen herrschte das totale Chaos. Der Zirkel war in einem Wirbelwind eingeschlossen, der das Tor umkreiste. Alles, was nicht angeschraubt oder festgeschweißt war, flog über die Plattform und wehte in die Haupthalle. Der Wind fegte wie Peitschenhiebe über sie hinweg, schlug auf sie ein und zog sie Richtung Tor. Doch sie hatte nicht vor, sich von dem Ding verschlucken zu lassen. Ihr Bedarf an Hölle war gedeckt, Nachschlag brauchte sie so dringend wie ein blaues Auge.
Während ihre Leute ausschwärmten und das fliehende Dämonenpack einkreisten, stemmte sie sich gegen den Wind, setzte den Abberufer an und betätigte den Abzug.
„Hasta la vista, Motherfucker!“
Diesen Spruch wollte sie seit einer Ewigkeit loswerden, und wann, wenn nicht jetzt, würde sie sich ihr eine bessere Gelegenheit bieten? Cam grinste, doch im nächsten Moment warf sie der
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