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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Christo
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Rückstoß in die Horizontale. Sie rutschte über den aufgerissenen Boden und landete mit einem lauten Keuchen auf den Schienen. Doch den Schmerz bemerkte sie kaum. Ihr Blick hing an dem Lichtblitz, der aus dem Recaller schoss. Er wickelte sich um die kreischenden Liés, die einen Moment lang grell weiß aufleuchteten, und ließ sie wie Eisskulpturen in eine Million Splitter explodieren. Mitten im Flug hielten sie inne und zeigten für einen Sekundenbruchteil ihr altes Selbst, bevor sie zu einem Lichtpunkt verschmolzen und sich auflösten.
    Cam grinste, stand auf und lud nach, als immer mehr Biester von der Lichtsäule in den Bahnhof gespuckt wurden. Abermals betätigte sie den Abzug und landete wieder auf dem Rücken. Als sie sah, wie die neue Flut an Dämonen vom Licht erfasst und gebannt wurde, warf sie den Kopf in den Nacken und brach in kehliges Gelächter aus. Zur Hölle, das war gut. Besser als alles, das sie bisher erlebt hatte, selbst besser als Sex.
    Dennoch hoffte sie, dass die Erzdämonen einen Zahn zulegten. Andrej war mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammengesunken, wenn das so weiterging, würde er die Nacht nicht überstehen. Wo war überhaupt Miceal? Sollte dieser faule Arsch nicht langsam hier aufkreuzen?
    Zumindest hatte er ihr den Recaller überlassen, endlich mal etwas, das er nicht komplett verbockt hatte. Entschlossen lud sie die Dämonenwaffe nach und begrüßte die Neuankömmlinge mit einer Portion Lichtenergie, die sie in ihre Einzelteile zerlegte, um sie anschließend zu einem Ganzen zusammenzufügen.
    Trennung , dachte Cam kopfschüttelnd und kramte eine weitere Patrone aus dem Munitionsbeutel. Das war Saetans wahre Waffe gegen die Menschheit, alles andere waren Randerscheinungen ihrer Vereinsamung. Welcher Schmerz war schlimmer als Ablehnung und Isolation? Eben dies waren beliebte Mittel der Schwestern im Heim gewesen. Sie zerstörten Freundschaften und trieben Keile in Beziehungen, indem sie Verrat belohnten und Loyalität bestraften. So erzeugten sie ein Klima von Angst und Misstrauen und stürzten die Kinder in unsägliche Einsamkeit.
    So sehr sie den Gedanken verabscheute, aber Blanche hatte die Mädchen und Jungen hinter sich vereint. Sie hatten auf ihre einstige Weggefährtin gehört, ihr vertraut. Und Vertrauen war etwas, das sich ein Missbrauchssystem nicht leisten konnte, denn es erzeugte Hoffnung.
    Und Hoffnung, oh Mann, die war der Mutter Oberin ein Gräuel.
     
    *
     
    Blanche hätte nicht sagen können, ob eine Sekunde vergangen war oder ein Jahr. Das war das Tolle an einem Schwarzen Loch, hier wurde nicht nur der Raum gekrümmt, sondern auch die Zeit. Als sie aus dem Vakuum gespuckt wurde, befand sie sich in einem langen Gang, der von blanken Neonröhren erhellt wurde. Hier sah es aus wie beim Finanzamt: Linoleumboden, kahle Wände und quadratische Styropordeckenplatten. Gemütlich.
    Doch sie war nicht beim Amt, Blanche wusste genau, wo sie sich befand. Dies war der Flur des Nonnentrakts ihres alten Heims. Am Ende des Korridors befand sich das Zimmer der Mutter Oberin, deren Tür wie aufs Stichwort in diesem Augenblick aufschwang.
    Ein Knoten bildete sich in ihrem Magen, sie hatte das Gefühl, zu fallen, wie man in Albträumen fiel, haltlos, und mit ungeheurer Geschwindigkeit. Im ersten Moment setzte ihr Herz einen Schlag aus, um kurz darauf so schnell zu schlagen, dass sie es in ihrem Hals spürte. Eben der schnürte sich mehr und mehr zu, bis sie zu ersticken glaubte. Kalter Schweiß brach ihr aus und rann in Eisbächen über ihren Rücken. Ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander, während sie verzweifelt versuchte, das Kind in sich zu beruhigen.
    Es war nicht zu fassen. Obschon die Ereignisse im Heim ein halbes Leben zurücklagen, konnten die vergangenen Jahre den Horror vor dieser Frau weder auslöschen noch mildern. Wie in Trance taumelte sie auf die offene Tür zu, bereit, die Strafe für ihre Verfehlungen entgegenzunehmen.
    In Anbetracht ihrer Position war der Raum der Heimleiterin erstaunlich klein. Hier gab es gerade Platz für ein Schreibpult, zwei Regale und ein Waschbecken. Das Schlafzimmer befand sich im Nebenraum, der ebenso spartanisch eingerichtet war.
    Die Mutter Oberin saß wie immer kerzengerade an ihrem Pult, das lange Lineal in der rechten Hand, während ihre Linke den Takt einer Melodie vorgab, die nur sie hören konnte.
    Alles in allem hatte sie sich nicht verändert. Sie trug ihre unvermeidliche Uniform, die aus schwarzer Haube, weißem

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