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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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hindurchbewegt …
    Aber es funktionierte nicht. Es war, wie sie es vermutet hatte: Hier in der Schattenwelt waren Julians Trugbilder zu stark, als dass sie sie auflösen konnte. Hier war er der Herr.
    Und das bedeutete, dass sie festsaß, es sei denn, es kam ihr jemand zu Hilfe.
    Also schön. Zeit zu brüllen.
    Und sie brüllte. Immer wieder und wieder. Sie hob sogar einen faustgroßen Stein auf, der am Fuß des Felshaufens lag, und schlug damit gegen alle Wände, langsam und rhythmisch. Dazwischen lauschte sie.
    Doch es gab absolut keine Reaktion auf den Lärm, den sie machte.
    Schließlich, als die Taschenlampe schon fast erloschen
war, ließ sie sich auf den Boden sinken und lehnte sich mit dem Rücken an die Felsbrocken. Dabei zog sie die Arme und Beine an wie eine Anemone, deren Blüte sich schließt.
    Und dann begann das Flüstern.
    Es fing so leise an, dass sie zuerst dachte, es wäre vielleicht das Blut, das in ihren Ohren rauschte. Aber es war real. Die Stimmen waren melodisch – und drohend. Und zu weit entfernt, um zu verstehen, was sie sagten.
    Mit hochgezogenen Schultern drehte Jenny langsam den Kopf und versuchte, das Geräusch zu lokalisieren. Und da sah sie es. Augen in der Dunkelheit.
    Sie glühten in ihrem eigenen Licht, ein kaltes Leuchten. Sie waren eisig, hungrig. Jenny erkannte sie wieder, sie sahen aus wie die Augen im Schrank ihres Großvaters.
    Die Schattenmänner. Die Schattenmänner waren hier bei ihr.
    Ihre Augen schienen aus der Wand zu starren. Irgendwie waren sie im Fels. Jenny spürte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten, spürte ein Prickeln, das von ihren Fingerspitzen über die Handflächen bis zu ihren Ellbogen lief.
    Jeder, egal wo auf dieser Welt, weiß von den Augen, dachte sie. Insgeheim wussten es tatsächlich alle Menschen, obwohl sie versuchten, dieses Wissen zumindest bei Tag zu verdrängen. Doch bei Nacht brach es manchmal
einfach hervor – das Gefühl von beobachtenden Augen, die die Welt mit den Menschen teilten. Augen, uralt und unendlich böse und von Mitleid ebenso weit entfernt wie ein T. Rex.
    Aber sie besaßen Intelligenz – vielleicht sogar mehr als Menschen. Was sie umso Furcht einflößender machte.
    Und sie wollen, dass du dich fürchtest, Jenny. Also, verlier nicht den Kopf. Sie sind hier, um dir Angst zu machen, aber sie werden dir nichts tun.
    Aber sie flüstern …
    Und es machte sie krank vor Angst. Verzerrte, unnatürliche Geräusche. Wie wenn man eine Platte rückwärts und mit verlangsamter Geschwindigkeit abspielt.
    Unwillkürlich hörte sie hin und versuchte, das Geflüster zu verstehen – obwohl sie auch davor Angst hatte. Sie wollte gar nicht, dass es einen Sinn ergab.
    Und dann erloschen die Augen – ebenso überraschend wie erleichternd.
    Nein, sie erloschen nicht, vielmehr schienen sie sich zurückzuziehen, weit, weit weg. Die Stimmen klangen noch einen Moment nach, dann erstarben sie.
    Danke, dachte Jenny zutiefst erleichtert und bettete ihren Kopf auf die Knie. Oh, danke. Die Stille war ihr jetzt beinahe willkommen.
    Doch dann hörte sie ein anderes Geräusch, ein Geplätscher , das die zischenden Stimmen überlagert hatten. Sie richtete die verglühende Taschenlampe auf die
Wand mit den Stufen, dorthin, wo die Augen gewesen waren. Jenny keuchte auf, war mit einem Satz auf den Beinen und hielt die Taschenlampe dichter ran.
    Die Stufen – bewegten sich. Nein. Als sie die Taschenlampe direkt an die Wand hielt, spürte sie einen nassen Spritzer an der Hand. Die Stufen bewegten sich nicht – sie waren von Wasser bedeckt.
    Das Wasser floss die Felstreppe hinunter, glatt wie Glas. Genau wie beim Wasserfall in der Goldmine.
    Nur schneller. Es strömte stetig über die ganze Breite des Risses hinunter – vielleicht einen Meter – und plätscherte so sanft wie ein Hotelspringbrunnen.
    Seltsamerweise kam es Jenny zunächst nur lästig vor und nicht annähernd so beängstigend wie die Augen. Sie erkannte die Gefahr erst, als ihre Füße durchnässt waren.
    Das Wasser fließt nicht durch die aufgetürmten Felsbrocken hindurch, begriff sie langsam. Unheimlich. Sie mussten so dicht an dicht gestapelt sein, dass es keine Zwischenräume gab. Oder vielleicht befand sich hinter ihnen einfach eine geschlossene Wand, und nur die Decke war offen, als sie hindurchgefallen war. Aber jetzt war sogar die Decke verrammelt.
    Und das Wasser floss noch immer herein …
    Es wurde von Minute zu Minute schneller und war eiskalt. Ihre Füße waren

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