Die Entscheidung
ab?«
»Der Hinweis wird dich etwas kosten.«
Eisiger Zorn stieg in Jenny auf. »Du bist abscheulich. Weißt du das?«
»Ich bin so grausam wie das Leben«, erwiderte Julian. »So grausam wie die Liebe.«
Der Zorn und der stählerne Kern ihrer Seele verliehen Jenny den Mut, etwas zu tun, das sogar sie selbst
erstaunte. Sie wollte Julian eigentlich ohrfeigen. Doch stattdessen küsste sie ihn.
Es war kein zärtlicher, anschmiegsamer Kuss, wie Tom ihn bekam, aber auch kein verängstigter, halb wilder Kuss, wie ihn Julian ihr früher abgerungen hatte. Sie sprang auf und packte sein Gesicht, noch bevor er irgendetwas anderes tun konnte. Sie küsste ihn hart und aggressiv und ohne den leisesten Hauch von mädchenhafter Scheu.
Sie spürte seinen Schock. Seine freie Hand umfasste sie, aber er konnte sie nicht noch näher an sich ziehen, als sie ohnehin schon war. Sie ignorierte vollkommen die Gefahr der Fackel in seiner anderen Hand – wenn sie ihrem Haar zu nahe kam, war das Julians Problem. Sollte es doch der Meister der Elemente lösen.
Julian erholte sich schnell. Immerhin war es möglich, ihn zu überraschen, auch wenn er nicht lange verblüfft blieb. Jenny spürte, wie er versuchte, die Situation unter Kontrolle zu bekommen, den Kuss sanfter zu gestalten.
Aber sie kannte die Gefahr der Sanftheit. Julian würde ein Netz aus Schatten um sie herum spinnen, mit Berührungen, so zart wie ein Mottenflügel, und Küssen, so sanft wie das Zwielicht. Er konnte ihre Sinne manipulieren, bis die Küsse sie schwindelig und atemlos machten und die Berührungen sie innerlich zum Kochen brachten. Bis sie überhaupt bemerkte, was unter der Sanftheit lag, zitterte sie, schmolz und war verloren.
Also sorgte Jenny dafür, dass der Kuss rein geschäftsmäßig blieb. Eine billige und widerwärtige Angelegenheit; vor Julian hatte sie noch niemals jemand anderen geküsst als Tom. Sie küsste ihn wütend, mit klinischer Kälte und all der Erfahrung, die sie aufbringen konnte. Am Ende begriff sie, dass es ihr binnen weniger Minuten gleich zweimal gelungen war, ihn zu verblüffen. Als sie sich mühelos von ihm löste, konnte sie den Schock in seinen Augen sehen.
Damit hast du nicht gerechnet, dass ich dir widerstehen könnte, was?, dachte sie. Sie trat zurück und sagte absolut kalt: »Also, was ist jetzt mit meinem Hinweis?«
Julian starrte sie an. Dann lachte er spöttisch, aber sie konnte sehen, dass er die Fassung verlor, konnte sehen, dass die blauen Augen vor Zorn funkelten wie exotische Saphire. Sie hatte auf seinen Stolz gezielt – und mitten ins Schwarze getroffen.
»Nun, ich bin mir nicht sicher, ob ich den Gegenwert für die Information erhalten habe«, sagte er. »Ich kenne Eiszapfen, die besser küssen.«
»Und ich kenne tote Fische, die besser küssen«, erwiderte Jenny – nicht ganz wahrheitsgemäß und unter solch fahrlässiger Missachtung der Gefahr, dass es an Wahnsinn grenzte. Sie wusste, dass es Wahnsinn war, aber es kümmerte sie nicht. Die Freiheit zu wissen, dass die Schatten keine Macht mehr über sie hatten, war berauschend. Und machte den entscheidenden Unterschied
zwischen dieser Begegnung mit Julian und all den vorangegangenen aus.
Sie hatte erneut ins Schwarze getroffen. Sie sah, wie der Zorn seine Augen bedrohlich verdunkelte – dann senkte er seine schweren Wimpern und verschleierte seinen Blick. Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen.
Jennys Magen rebellierte.
Er war böse, das wusste sie. Grausam, launenhaft und gefährlich wie eine Kobra. Es war dumm, ihn so zu provozieren. Es war lebensgefährlich.
»Ich werde dir deinen Hinweis geben«, erklärte er schließlich. Er schob eine Hand in seine hautenge Hosentasche, zog sie heraus, schnippte etwas Goldenes mit dem Daumen in die Luft und fing es wieder auf. Das goldene Ding blinkte im Fackellicht. »Kopf oder Zahl. Bei Kopf gewinne ich, bei Zahl verlierst du«, sagte Julian und schenkte ihr ein schrecklich süßes Lächeln.
Dann schnippte er das glänzende, goldene Ding so schnell in ihre Richtung, dass sie zusammenzuckte. Mit einem wunderbaren, klar tönenden Klimpern schlug es auf dem Boden auf. Jenny bückte sich und stellte fest, dass es kalt und ziemlich schwer war. Eine Münze, rund, aber unregelmäßig, wie ein sehr dünner, selbst gebackener Keks.
»Eine spanische Dublone«, erklärte Julian. Für einen Moment starrte Jenny ihn verständnislos an, dann verstand sie endlich.
Oh Gott – natürlich. Das Spiel – das im
Weitere Kostenlose Bücher