Die Entscheidung der Hebamme
ein gemäßigtes Verhalten an den Tag legen, und auch gegenüber seinem jüngeren Bruder musste er sich nun zügeln. Immerhin kehrte Dietrich von einem Feldzug zurück.
Otto beschloss, unangekündigt in Christiansdorf aufzutauchen, und untersagte Christian, einen Boten vorauszuschicken. Stattdessen ließ der Markgraf den größten Teil seiner Streitmacht unter Ekkeharts Kommando nach Meißen ziehen und Hedwig die Botschaft ausrichten, er erbitte ihre Anwesenheit in Christiansdorf.
Mit lauten Rufen und begleitet von einem Rudel wild kläffender Jagdhunde waren Albrecht und seine Männer nach dem Gerichtstag aufgebrochen.
Marthe sah ihnen nach, und als die Letzten endlich das Burgtor passiert hatten, wäre sie am liebsten noch auf den höchsten Turm geklettert, um sich zu überzeugen, dass sie wirklich fortritten und nicht wieder umkehrten.
Verflucht soll Albrecht sein, dachte sie wütend, und fuhr im nächsten Augenblick zusammen. Hastig schlug sie ein Kreuz. Fluchen war Sünde. Ihre Ziehmutter hatte sie ermahnt, dass Flüche immer auf denjenigen zurückfielen, der sie aussprach.
Sie schlotterte immer noch vor Kälte und fühlte sich wie zerschlagen. Der Rücken schmerzte ihr vom langen Stehen, und die Angst würgte sie, was Albrecht den Dorfbewohnern als Nächstes antun würde.
Wäre sie ein Mann und edelfrei geboren, hätte Albrecht sich vielleicht etwas mehr zurückgehalten. Doch so war sie doppelt im Nachteil: als Frau und als jemand, dessen Stand Albrecht nicht anerkannte. Wie sollte sie so noch irgendetwas bewirken, vor allem, wenn der Dorfschulze keine Hilfe war?
Der Hof hatte sich inzwischen größtenteils geleert; die meisten der Zuschauer diskutierten das Vorgefallene lieber außerhalb der Burgmauern, während sie zurück an ihre Arbeit gingen.
Doch einige waren geblieben, hauptsächlich die direkt von den Urteilen Betroffenen.
Der Bergmeister und Jonas waren mit ernsten Mienen in ein Gespräch vertieft; neben ihnen stand Bertha mit vom Weinen verquollenem Gesicht.
Rasch ging Marthe auf sie zu und zog sie in ihre Arme.
»Was soll nur aus meinem Jungen werden?«, schluchzte die Witwe. »Ich werde ihn nie wiedersehen – höchstens seinen Leichnam … Sie werden ihn finden und aufhängen … wie seinen Vater …«
Bertha wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Dass sie eben beinahe ihre Hand eingebüßt hätte, schien sie fast vergessen zu haben. Marthe wusste, welches Bild Berthas Denken nun ganz ausfüllte: wie ihr Mann einst auf Randolfs Befehl an der Dorflinde aufgehängt wurde … und sich sein im Todeskampf verzerrtes Gesicht in das ihres Sohnes verwandelte.
Entschlossen packte sie Bertha mit ihren eiskalten Händen an den Oberarmen und zwang sie, ihr in die Augen zu blicken. »Das wird nicht geschehen, hörst du!«, schärfte sie ihr ein. »Das
wird nicht
geschehen! Du weißt, wer ihn sicher verstecken kann. Und wenn Christian aus dem Krieg zurückkehrt, wird er das ungerechte Urteil aufheben.«
Clara war neben sie getreten und hatte ihr zustimmend zugenickt, als sie von dem sicheren Versteck für den geächteten Jungen sprach. Mit einem Mal fragte sich Marthe, ob vielleicht auch ihre Tochter insgeheim zu Peters Bande gehörte. Zumindest schien sie gut Bescheid zu wissen über alles, das dort vor sich ging.
Sobald hier das Nötigste geregelt war, würde sie wohl ein ernsthaftes Gespräch mit ihr führen müssen. Sie bat Clara, Bertha in der Kräuterkammer etwas zur Beruhigung zu geben, und die Tochter nickte ihr mit einem Verschwörerlächeln zu. Sie hatte sofort verstanden, dass ihre Mutter jetzt nicht nur an Melisse oder Lavendel dachte, sondern eher an ein paar aufmunternde Worte darüber, was Peter und seine Helfer alles geplant hatten, damit Christian nicht gefunden werden konnte.
Dann wandte sich Marthe dem Bergmeister zu, der immer noch mit gedämpfter Stimme auf Jonas einsprach.
»Ich danke Euch von Herzen, Meister Hermann«, sagte sie, als sich die beiden Männer zu ihr umdrehten. »Es war eine himmelschreiende Ungerechtigkeit von Albrecht. Aber ich fürchte, ich kann Euch den Schaden vorerst nicht ersetzen, und auch dir nicht, Jonas … Vielleicht kann jemand in Meißen für mich etwas Schmuck in Silber eintauschen.«
»Das müsst Ihr nicht«, beruhigte Hermann sie. »Ich habe es um Berthas willen getan; sie ist eine tüchtige Frau und hat schon den Mann durch einen ungeheuerlichen Betrug verloren.«
»Das eben war genauso ungeheuerlich!«, entgegnete Marthe
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