Die Entscheidung der Hebamme
Dietmar die Sterbesakramente zu gewähren.
»Wacht Ihr so lange bei ihm?«, bat sie Hartmut.
»Nein!«, stöhnte der tödlich Verletzte. Verwundert und betroffen zugleich, sah ihn Marthe an.
»Werde ich sterben?«, wollte der junge Ritter wissen. Inzwischen schüttelte es ihn vor Kälte, seine Zähne schlugen aufeinander.
Marthe forderte Hartmut mit einem Blick auf, seinem Gefährten die Wahrheit zu sagen. Der nickte nur. Für einen Augenblick schloss Dietmar die Augen, dann sah er sie an.
»Werdet Ihr bei mir bleiben, während der Hauptmann den Priester holt?«, bat er leise. »Mir ist so kalt … Vielleicht könnt Ihr meine Hand halten … und ein bisschen wärmen.«
Wortlos nahm Marthe seine Hand und drückte sie sanft mit ihrer Linken. Mit der Rechten strich sie über seine Stirn, als wollte sie seine Ängste fortwischen, und legte sie dann an seine Wange, während Marie aufstand und einen Umhang brachte, den sie über den Todgeweihten deckte.
Wenig später kam Hartmut mit Pater Sebastian zurück.
Taktvoll überließ Marthe ihren Platz Albrechts Hauptmann. Wahrscheinlich wollte der Sterbende jetzt lieber einen Waffengefährten bei sich haben.
Sie entfernte sich nur ein paar Schritte, für den Fall, dass sie gerufen wurde, und ließ ihren Blick auf dem jungen Mann ruhen, der sie noch einmal angstvoll ansah, bevor seine Augen brachen.
Sebastian strich über seine Lider, schlug ein Kreuz und richtete sich auf.
Doch sein Gebet wurde von einem lauten Hornsignal übertönt.
»Markgraf Otto kommt aus dem Krieg zurück, und mit ihm sein Sohn nach erfolgreicher Jagd«, erscholl ein Ruf vom Wartturm aus.
Marthe stürzte zum Tor, dicht gefolgt von Johanna, und Augenblicke später wusste sie auch Marie an ihrer Seite.
Tatsächlich – da kamen sie allesamt. Der Jagdtrupp und der Heereszug mussten sich unterwegs begegnet sein und vereinigt haben.
Marthe verrenkte sich, um nach denen Ausschau zu halten, die ihr besonders nahe waren. Da entdeckte sie Christian. Ihr Herz machte einen Sprung vor Freude.
An seiner Seite ritten Dietrich und Lukas.
Doch dann hörte sie Johanna neben sich aufstöhnen: »Wo ist Kuno? Ich kann ihn nicht entdecken!«
»Und Bertram? Er ist auch nicht dabei«, flüsterte Marie mit tränenerstickter Stimme.
Hedwigs Mahnung
Am liebsten wäre Marthe Christian sofort entgegengestürzt und um den Hals gefallen. Doch nun war es nötiger denn je, dass sie genauestens ihre Pflichten als Frau des zurückgekehrten Burgvogtes erfüllte. Außerdem waren ihre Hände noch verschmiert vom Blut des jungen Jägers. Also rannte sie in die andere Richtung, zurück zum Palas, ließ sich von Mechthild Wasser über die Hände gießen und in aller Eile ihren prächtigsten Umhang um die Schultern legen, während eine Magd in ihrem Auftrag den Willkommenspokal mit dem besten Wein füllte. Dann rückte sie den Schleier zurecht, damit ihr Haar auch sittsam bedeckt war, und lief dem Reitertrupp entgegen, der gerade das Burgtor passiert hatte.
Sie begrüßte Christian von weitem mit einem glückstrahlenden Lächeln, das er erwiderte, dann ging sie pflichtgemäß auf den Markgrafen zu und reichte ihm mit höflichen Worten des Willkommens den Pokal.
Otto nahm ihn bestens gelaunt entgegen und trank durstig, ehe er ihn an seinen älteren Sohn weitergab, der direkt an seiner Seite auf den Hof geritten war.
»Wir sind uns unterwegs begegnet«, verkündete der Markgraf mit seiner weittragenden Stimme. »Mein Erstgeborener hat reichlich Beute gemacht: Wildschweine, Rehe, zwei Hirschkühe und einen stattlichen Hirsch. Ich bin stolz auf dich, Sohn!«
Zufrieden sah er in die Runde, während sich der Burghof immer mehr füllte. Nach den aus dem Krieg Heimgekehrten und den Jägern kamen nun auch noch die Jagdhelfer, die das erlegte Wild trugen, Stallburschen liefen herbei, um den Reitern die Pferde abzunehmen, und die aufgeregten Jagdhunde vollendeten das Durcheinander.
Marthe erkannte schon an den vorsichtigen Bewegungen, mit denen sich Otto vom Pferd helfen ließ, dass ihm die Gicht schwer zu schaffen machen musste. Das war nicht verwunderlich, da er wochenlang um diese Jahreszeit in Zelten gehaust oder im Sattel gesessen haben mochte.
Noch bevor sie etwas sagen oder zu Christian gehen konnte, befahl Albrecht sie mit einem Wink zu sich. Er beugte sich aus dem Sattel zu ihr hinab, um ihr den Pokal zurückzugeben, und zischte dabei: »Beklagt Euch über mich bei meinem Vater, und Ihr werdet es bitter
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