Die Entscheidung der Hebamme
er mit Verweis auf seine Verletzung den Dienst quittieren wollte.
»Willst du dich drücken?«, stauchte Christian ihn zurecht, härter, als von jedermann erwartet. »Nur weil ein jämmerlicher Gaul dir vors Scheinbein getreten hat, bist du noch lange kein Held, der sich zur Ruhe setzen und den Enkeln am warmen Herd von seinen ruhmreichen Taten erzählen kann.«
Bertram erbleichte, wagte aber keine Entgegnung.
»Euer Gemahl findet genau die richtigen Worte«, raunte die Alte Marthe zu. »Der Bursche will aufgeben. Wenn ihm nur jemand ordentlich in den Hintern tritt, wird er lernen müssen, damit klarzukommen.«
»Du kennst dich gut mit Menschen aus«, meinte Marthe anerkennend.
Die Alte grinste. »Das muss ich. Sonst wäre ich nie so alt geworden in meinem Gewerbe.«
Nicht nur Gretes Name erinnerte Marthe an jemanden, den sie einst sehr mochte: Kunos Stiefmutter, eine gewitzte, kluge alte Frau, die von Randolf erstochen worden war, nachdem sie ihn verflucht hatte.
»Es wäre schön, wenn du bei uns bliebst«, lud Marthe die Besucherin ein. Sie vermisste die beiden weisen alten Frauen, von denen sie das Heilen erlernt hatte – ihre Ziehmutter Serafine und Christians Ziehmutter Josefa –, ebenso wie Kunos scharfzüngige und lebenserfahrene Stiefmutter.
Doch diese Grete hier schien nicht bereit, sich ohne weiteres festzulegen. »Wir werden sehen«, meinte sie und neigte den Kopf nachdenklich zur Seite.
Marthe rief den Großknecht heran, damit er einen Unterstand für Gretes Karren fand. Dann bat sie die Ankömmlinge in die Halle und ließ Bier und etwas zu essen bringen.
»Zuerst sollten wir Christian berichten«, meinte Kuno, der hungrig Brei in sich hineinschaufelte und trotzdem kaum ein Auge von Johanna ließ. Sie hatte sich mit ihrem Töchterchen auf dem Arm ihm gegenüber hingesetzt und strahlte ihren Mann an, der nicht aufhören konnte, bei diesem Anblick vor lauter Stolz und Vorfreude von einem Ohr zum anderen zu grinsen.
Neben Johanna kauerte Marie, der immer wieder eine verlegene Röte ins Gesicht schoss, wenn sie Bertrams Blick auffing. Doch dieser gab sich offenkundig Mühe, so wenig wie möglich zu ihr zu sehen.
Er fühlt sich als Krüppel, erkannte Marthe, und will auf die Heirat verzichten. Sie versuchte, in Maries Gesicht zu lesen, was ihre jüngere Stieftochter dazu meinte, doch darin standen nur Freude und eine Spur Verlegenheit.
Zum Glück muss das nicht sofort entschieden werden, dachte Marthe. Schließlich ist Fastenzeit, da wird nicht geheiratet.
Ihre Überlegungen wurden unterbrochen, denn Christian, der zuvor auf dem Hof noch etwas mit Walther zu bereden gehabt hatte, betrat die Halle, gefolgt von Lukas.
Die jungen Männer wollten sich sofort erheben, doch Christian winkte ab. »Esst, ihr müsst hungrig und durchgefroren sein«, meinte er.
Kuno schob entschlossen die halbvolle Schüssel beiseite und strich sich das vom Schnee nasse rote Haar aus der Stirn. Das Grinsen erstarb auf seinem Gesicht. »Ich schätze, Ihr wollt gleich hören, was seit dem Abzug des Markgrafen in Haldensleben und Magdeburg geschehen ist.«
»Heraus damit«, bekräftigte Christian. »Wir sind seit Wochen eingeschneit und ohne Nachricht. Ihr seid die Ersten seit langem, die hierher durchgedrungen sind.«
Marthe schenkte ihm und Lukas ebenfalls einen Becher Bier ein, dann setzte sie sich zu den anderen, gespannt auf die Neuigkeiten.
»Nur wenige Tage nach Euerm Aufbruch zog auch Philipps Streitmacht von Haldensleben ab, um auf dem Rückzug Richtung Köln weiter zu plündern, zu morden und zu sengen«, begann Johannas Mann. »Also gab Erzbischof Wichmann die Belagerung auf. Mit den verbliebenen Truppen hatte er keine Aussicht mehr, die Burg einzunehmen. Außerdem war der Löwe in das Magdeburger Land eingefallen und wütete dort gnadenlos.«
Anfang November, nur wenige Tage nach dem Abzug der Wettiner, brannte Heinrich aus Rache für die Belagerung Haldenslebens Calbe nieder, die bischöfliche Pfalz an der Saale, berichtete Kuno. Die Truppen des Herzogs verheerten das Land bis an die Elbe und ließen Hornburg ein weiteres Mal in Flammen aufgehen. Zur gleichen Zeit fielen auch noch die von Heinrich herbeigerufenen Liutizen und Pommern ins Land ein und wüteten nicht minder grausam. Die von Wichmann gegründete Stadt Jüterbog brannte am gleichen Tag wie Calbe. Die Slawen zerstörten das Kloster Zinna und erschlugen dessen Abt.
»Deshalb verließ Wichmann Haldensleben nur wenige Tage nach Euch, um mit
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