Die Entscheidung der Hebamme
für Zeiten nun vor ihnen und ihrem Heimatort lagen. Sie würden sich wieder einmal wappnen müssen für das Schlimmste.
Vorwarnungen
Die Sonne strahlte, ein leuchtend blauer Himmel hing über Christiansdorf, Vogelgezwitscher war zu hören, wenn das regelmäßige Hämmern aus der Münze einmal unterbrochen wurde, und die Stallburschen riefen den Mägden laute Scherze quer über den Burghof zu.
Doch die Idylle trog, dieses Gefühl wurde in Marthe immer stärker. Sie war am Morgen aus einem grauenhaften Alptraum erwacht, und den ganzen Tag über hatte sich ein altbekannter hämmernder Schmerz in ihrer rechten Schläfe immer tiefer in ihren Kopf gewühlt, bis sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte.
Gegenüber Christian hatte sie kein Wort darüber verloren, weil sie sich nicht sicher war, ob sie sich noch auf ihre Ahnungen verlassen konnte. Vielleicht rührte der Schmerz ja auch vom fehlenden Schlaf oder von einem nahenden Wetterumschwung.
Doch ihr jähes Aufschrecken aus dem Bett, die tief umschatteten Augen in ihrem bleichen Gesicht und die verstohlene Bewegung, mit der sie sich die Stirn massierte, waren ihm nicht entgangen. Besorgt musterte er seine Frau und beschloss, an diesem Tag in ihrer Nähe zu bleiben und die Waffenübungen mit seinem und Lukas’ Knappen, die nächstes Jahr in den Ritterstand erhoben werden sollten, auf den Burghof zu verlegen.
Aus den verunsicherten Vierzehnjährigen, die krampfhaft bemüht waren, den Anforderungen von zweien der besten Schwertkämpfer der Meißner Ritterschaft standzuhalten, hatten sich Georg und David zu tüchtigen jungen Männern entwickelt, deren Umgang mit Schwert und Lanze sich sehen lassen konnte, auch wenn sie natürlich noch weit entfernt vom Geschick ihrer Lehrmeister waren.
Das Klirren der Schwerter zusätzlich zum Lärm aus der Münzstätte, dem Wiehern der Pferde und den anderen alltäglichen Geräuschen verstärkte Marthes Kopfschmerz noch. Sie beschloss, in ihre Kräuterkammer zu gehen und sich dort, abgeschieden von der allgemeinen Geschäftigkeit und dem grellen Sonnenlicht, einen lindernden Trank aus Melisse und Lavendel zuzubereiten.
Noch bevor sie sich der Kammer auch nur näherte, kam ihr ihre ebenfalls besorgt blickende Tochter entgegen.
Also ist es wahr, dachte Marthe erschrocken, als sie Claras ernsten Gesichtsausdruck sah. Irgendetwas Bedrohliches wird noch heute geschehen.
Clara war mittlerweile zwölf Jahre alt, und jeder, der Marthe noch vor ihrer ersten, erzwungenen Heirat gekannt hatte, sah in dem Mädchen unweigerlich das jüngere Abbild ihrer Mutter: eine schmale, zierliche Gestalt mit kastanienbraunem Zopf und graugrünen Augen, die den Betrachter gefangen nehmen konnten. Nur wirkte Clara nicht so bedrückt oder gar verzweifelt wie Marthe damals.
Heute allerdings war von Frohsinn oder Unbeschwertheit nichts im Gesicht des Mädchens zu erkennen. »Wir sollten Vater bitten, dass er Peter und ein paar seiner Freunde ausschickt, um Ausschau zu halten, wer sich dem Dorf nähert«, sagte sie zu ihrer Mutter.
Marthe entgegnete nichts, sondern nickte nur.
Sie würden also unliebsamen Besuch bekommen. Nur wer? Oder drohte ein neuerlicher Überfall auf das Dorf?
Sie gingen zur Mitte des Burghofes, wo Lukas gerade die beiden Knappen, die gemeinsam gegen ihn angetreten waren, mit zwei blitzschnellen Hieben entwaffnete – sehr zu deren Verdruss und Beschämung.
Der eine mit finsterer Miene, der andere mit hängendem Kopf, hoben David und Georg ihre Waffen auf.
Christian, der die Szene beobachtet hatte, sah Frau und Tochter auf sich zukommen. An ihren Gesichtern erkannte er, dass sie keine guten Nachrichten brachten.
In Gedanken überschlug er sofort, wie viele Bewaffnete er gerade auf der Burg hatte und wie viele er noch zusammenrufen konnte, sollte es nötig werden. Es hatte schon längere Zeit keinen Überfall mehr auf Christiansdorf gegeben, und dieses Glück würde nicht ewig anhalten. Doch trotz aller jäh aufkommenden Sorge konnte er den Gedanken nicht unterdrücken, wie sehr er an diesen beiden Frauen hing, die nun unmittelbar vor ihm standen und ihn ansahen.
Christian stellte keine weiteren Fragen, nachdem Clara ihm gegenüber wiederholte, was sie schon ihrer Mutter gesagt hatte. Er wusste, sie würden die Antwort bald erfahren. Denn so, wie er gelernt hatte, auf Marthes Vorahnungen zu hören, vertraute er auch denen seiner Tochter.
Er winkte Raina zu sich, die gerade mit einem Korb voll duftender Brotlaibe in
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