Die Entscheidung der Hebamme
war ihr ohnehin nichts mehr wert. Doch der Reiter hinter ihr reagierte sofort und umklammerte sie nur mit noch härterem Griff, ohne ein Wort zu verlieren.
So blieb ihr nichts als zu warten, bis das Ziel erreicht war und ihr Augenbinde und Fesseln abgenommen würden.
Stumm betete sie, dass Lukas ihr Verschwinden bemerkt und die Verfolgung aufgenommen hatte. Doch wie sollte er in der Nacht ihre Spur finden?
Sie hatte noch in der Nähe des Dorfes einen Schuh fallen lassen, wenig später den anderen, und hoffte, dass niemand von ihren Entführern es bemerkte. Mehr konnte sie nicht tun. Aber in der Dunkelheit würde Lukas ihre Zeichen nicht entdecken.
Endlich verlangsamten die Reiter ihr Tempo. Worte wurden geflüstert, ohne dass sie etwas davon verstehen konnte. Die Hufe trommelten nun nicht mehr über Waldpfade, sondern auf härterem Grund. Der Reitertrupp brachte die Pferde zum Stehen.
Sie wurde vom Sattel gehoben und stehen gelassen.
Ob es immer noch Nacht war? Bestimmt, auch wenn sie durch die Augenbinde nichts sehen konnte. Falls sie sich wirklich auf einem Burghof befand, würden tagsüber viele Geräusche von Geschäftigkeit künden: das Geplapper der Mägde, die Rufe der Knechte und Stallburschen, die Kommandos der Wachen.
Wo war sie? Auch wenn es schwer war, zu schätzen, schien ihr die zurückgelegte Strecke kürzer zu sein als der Weg nach Meißen. In wessen Auftrag war sie entführt worden? Und warum?
Der Mann, der sie auf sein Pferd genommen hatte, kehrte zurück. Sie erkannte ihn an der Stimme.
»Wenn Ihr erlaubt.« Er nahm sie beim Arm und führte sie vorsichtig über den Hof, machte sie auf Stufen aufmerksam und stützte sie, damit sie nicht stolperte oder fiel, während er sie eine Wendeltreppe hinaufgeleitete. Sie musste also in einem Turm sein, im Bergfried einer Burg oder eines größeren Rittergutes.
Als Nächstes hörte sie Türangeln knarren, dann musste sie noch ein paar Schritte gehen.
Schließlich machte ihr Entführer halt und nahm ihr Augenbinde und Knebel ab, nicht aber den Strick um ihre Handgelenke.
Der Raum war dunkel und wurde nur durch eine einzige Kerze erhellt. Doch sie erkannte ihn sofort wieder und wähnte sich in einem bösen Traum. Hier war sie schon einmal gewesen – vor Jahren, als Ekkehart sie aus dem Kerker und vor dem sicheren Tod gerettet hatte.
Sie befand sich in Ekkeharts Gewalt.
Der Mann verneigte sich stumm vor ihr, bedeutete ihr, sich zu setzen, und entfernte sich.
Trotzig blieb Marthe stehen. Wie sie befürchtete, betrat nur wenige Augenblicke später Ekkehart die Kammer.
»Was bedeutet das?!«, fuhr sie ihn an und reckte ihm anklagend ihre gebundenen Hände entgegen. »Ihr lasst mich mitten in der Nacht vom Grab meines Mannes entführen und in Fesseln in Eure Kammer bringen?!«
»Eine reine Vorsichtsmaßnahme, damit du mir nicht noch einmal im letzten Moment entkommst!«, sagte er und ging auf sie zu.
Sein Gesicht zeigte jenen begehrlichen Ausdruck, mit dem er sie meistens anzusehen pflegte, doch diesmal war es verzerrt von Hass und hemmungsloser Gier.
»Heute Nacht werden wir es vollenden. So viele Jahre musste ich warten! Aber diesmal wird mich nichts daran hindern, dich zur Frau zu nehmen.«
Er musste den Verstand verloren haben.
»Ihr habt bereits eine Frau«, sagte sie, so kühl sie konnte.
»Nicht mehr«, erwiderte Ekkehart, während er ihr die Fesseln abnahm und den Strick lässig in den Gürtel steckte. »Sie war eine Ehebrecherin. Ich habe sie heute Morgen ertappt und gerichtet.«
Er zog seinen Dolch und hielt ihn hoch, direkt vor Marthes Augen.
Ihr schauderte bei dem Gedanken daran, dass er seine unglückliche und verängstigte Frau einfach so erstochen haben könnte, nur um sich ihrer zu entledigen.
Ekkeharts nächsten Worte bestätigten ihren furchtbaren Verdacht. »Da wir nun also beide verwitwet sind, steht unserer Vermählung nichts mehr im Wege.«
Angewidert wich sie zurück.
»Ihr seid ein Ungeheuer!«
Sofort folgte er ihr nach, packte sie an beiden Armen und sah ihr drohend in die Augen. »Für meine Feinde – ja, wenn du es so sehen willst. Aber ich bin nicht dein Feind. Und du solltest Wert darauf legen, dass ich es niemals werde. Jetzt gehörst du mir.«
»Nie und nimmer!«, schrie sie ihn an und versuchte, sich seinem eisernen Griff zu entreißen.
»Doch. Der Markgraf hat dich mir schon vor Jahren zugesprochen. Heute hole ich mir, was mir zusteht.«
In seinen Augen glitzerte es, er zog ihr den Schleier vom
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