Die Entscheidung der Hebamme
sagte Johanna, obwohl sie selbst die Tränen kaum zurückhalten konnte.
Bevor Marthe ging, zog sie noch einmal schmerzerfüllt ihre Söhne an sich, von denen der Ältere sie nun schon eine Handspanne überragte.
Den Gesichtern der Jungen sah sie an, dass sie Rachepläne schmiedeten. Doch sie überließ es Lukas und Raimund, die beiden zur Besonnenheit anzuhalten. Dafür fehlte ihr jetzt einfach die Kraft, und den Rittern würden Thomas und Daniel wohl eher gehorchen.
Im Hinausgehen hörte sie, wie Lukas ihre Söhne zu sich rief. »Wir müssen reden.«
Den Rest konnte sie nicht mehr verstehen, aber sie wusste, dass Thomas und Daniel Lukas verehrten und ihren ganzen Ehrgeiz daransetzen würden, seinen Befehlen zu folgen und vor seinen Augen zu bestehen.
Bis zum Tag von Christians Begräbnis baten so viele Menschen um die Ehre, Totenwache halten zu dürfen, dass der Platz in der Kapelle kaum reichte.
Doch die letzte Nacht wollte Marthe allein mit Christians engsten Freunden dort verbringen.
Lukas, Raimund, Jakob und Reinhard hatten sich links und rechts des Leichnams aufgestellt, jeder von ihnen selbst gezeichnet von Schmerz und Trauer, von den Folgen der Nachtwachen, des Fastens und der langen Gebete in den vergangenen drei Tagen.
Marthe sank erneut an Christians Seite nieder. Sein Gesicht wirkte nicht wie das eines Toten, er sah aus, als ob er nur schliefe, aber sein Körper war eiskalt.
Sie wusste nicht, wie sie die letzten Tage zugebracht hatte, Waltrud und ihre Helfer hatten sich um alles Nötige gekümmert. Sie hatte geglaubt, längst keine Tränen mehr zu haben, doch als sie nun an der Seite ihres toten Mannes niederkauerte, brachen mit einem Schrei all ihr Schmerz und ihre Verzweiflung heraus.
Dann erstarrte sie, und ihr war, als sei das Ende aller Tage gekommen.
Als der Morgen graute, legte Lukas leicht seine Hand auf ihre Schulter. »Es ist so weit.«
Mühsam stemmte sie sich hoch und setzte hölzern einen Schritt vor den anderen, um sich oben in ihrer Kammer für die Totenmesse und Christians Beerdigung zurechtmachen zu lassen.
Sie wusste nicht, mit welcher Drohung oder List Christians Freunde es geschafft hatten, Pater Sebastian dazu zu bringen, Hilbert die Totenmesse in der Nikolaikirche feiern zu lassen.
Aber sie war ihnen dankbar dafür. Es wäre für sie eine Entweihung gewesen, hätte ausgerechnet Sebastian die Zeremonie geleitet, ja, auch nur Christians Namen in den Mund genommen.
Auch für das Begräbnis galt Albrechts Befehl: »In aller Stille!«, und die Christiansdorfer hielten sich daran. In einer riesigen, stummen Prozession folgten sie dem Toten, der von seinen drei besten Freunden und Rittern und dem Bergmeister getragen wurde.
Hinter dem Leichnam gingen Marthe, ihre Kinder und Stiefkinder; Elisabeth und ihre Kinder waren gekommen, ebenso Jakobs Frau und viele andere Bekannte, deren Ankunft sie kaum wahrgenommen hatte: Ritter, die zu Christian hielten, auch wenn sie wussten, dass sie sich durch ihr Erscheinen hier beim künftigen Herrscher der Mark unbeliebt machten, und zu aller Erstaunen sogar Ludmillus, der Spielmann.
Hunderte von Trauernden folgten Christians Leichnam, auch wenn waffenstarrende Gefolgsleute Albrechts den Zug säumten und misstrauisch beäugten, bereit, beim ersten Anzeichen offenen Aufruhrs loszuschlagen.
Doch die Christiansdorfer wussten, was auf dem Spiel stand, und waren bereit, Christian still die Ehre zu erweisen, um sein Andenken zu wahren. Er hatte sich geopfert, um ein Blutbad zu vermeiden, und dieses Opfer sollte nicht umsonst gewesen sein.
Eiseskälte erfüllte Marthe, als sie sah, wie Handvoll um Handvoll Erde auf Christians Leichnam geworfen wurde. Sie hatte keine Tränen mehr. Lukas und Raimund übernahmen es, ein hölzernes Kreuz über dem Grab zu errichten.
Als alle dachten, die Zeremonie wäre vorbei, trat Ludmillus aus der Menschenmenge hervor und begann zu singen.
Diesmal begleitete er sich selbst nicht auf der Laute. Doch gerade die Schlichtheit seines Liedes war es, die die Menschen ergriff, so dass viele von neuem zu weinen begannen.
Mit seiner wohltönenden Stimme sang Ludmillus ein Lied, das noch nie jemand von ihm gehört hatte: von einem tapferen Ritter, der geschworen hatte, die Wehrlosen zu schützen, und der sein Leben gab, um diesen Schwur zu halten. Alle paar Verse flocht er die gleichen Zeilen ein, mit einer einfachen, einprägsamen Melodie, die bald von den Ersten mitgesummt wurde:
»Christian, tapferer
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