Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
erledigen in den nächsten Tagen. Außerdem haben wir einem Nachbarn unsere Hilfe zugesagt. Das ist ein Versprechen. Und allein um Ihnen Ihre Geheimnisse zu entlocken, werde ich nicht von dieser Zusage abrücken.« Sie betonte die folgenden Worte hart: »Es tut mir leid, Herr Mentiri, ich kann nichts für Sie tun.«
»Auch nicht, wenn ich Ihnen sage, dass das Wohl vieler Menschen davon abhängen könnte, ob diese Wagen ihren Bestimmungsort erreichen?«
»Das ist ein wichtiger Punkt. Was ist das für ein Ort, zu dem Sie unterwegs sind?«
»Es handelt sich um ein Kloster.«
»Welches?« Sie runzelte die Stirn und gab selbst die Antwort: »In der Nähe liegt nur eines: St. Peter. Aber selbst bis dorthin ist es ein gutes Stück.«
»Genau da will ich hin. Da muss ich hin.«
»Was haben Sie mit den Büchern vor?«
Mentiri breitete die Hände aus, als würde er eine unsichtbare Schrift öffnen. »Die Bücher sind eine Schenkung, Bernina.«
Zweifelnd hob sie eine Augenbraue. »Das deuteten Sie schon früher an. Schenkung? Das ist alles?«
»Das ist alles«, bekräftigte er, lebhaft nickend. »Hohe Herrn, mächtige Herrn, sie alle umgeben sich nicht nur mit Heeren, sondern darüber hinaus mit Wissen. Und Bücher sind mehr als Wissen, viel mehr als Zierde, ja, viel mehr als Macht. Lesen an sich bedeutet Macht. Deshalb bemüht sich die Obrigkeit nach allen Kräften, dass niemand außer ihr am geschriebenen Wort teilhaben kann. Es gibt nichts Gefährlicheres für einen König oder Kaiser als Bücher. Jawohl, eine Bibliothek, eine wahrhaft herrliche Bibliothek ist ein bedrohliches Arsenal, eines, dass große Anführer bisweilen mehr fürchten als eine gegnerische Armee.« Mentiri schnaufte, in ihm bebte es, so sehr hielt ihn seine Welt in Atem. »Wie Sie wissen, gehörten Teile der Sammlung der berühmten Heidelberger Bibliothek. Damals war ein gewisser Herr äußerst erpicht darauf, diese Werke in seinen Besitz zu bringen. Zugunsten des Papstes und der Kirche verzichtete er darauf, wenngleich mit schwerem Herzen. Heute sind die Umstände anders, heute wird er sich umso mehr freuen, nicht mehr widerstehen zu müssen.«
»Die Männer, in deren Auftrag Sie handeln, möchten diesem Herrn die Bücher schenken?«
»Sie möchten mit ihm verhandeln, ihm Vorschläge unterbreiten und – ja – sie möchten ihm Präsente überreichen. Präsente, die ihn weitaus mehr begeistern werden, als Geld und Edelmetall das könnten. Er besitzt Einfluss, großen Einfluss. Und nachdem er sich über viele Jahre hinweg in den Dienst des Krieges gestellt hat, soll er nun dazu bewogen werden, auf die Seite des Friedens zu wechseln.«
»Ich weiß nicht, ob das ehrenwert oder verrückt klingt, Herr Mentiri, ich weiß einzig und allein, dass ich nicht zur Verfügung stehe. Was immer Sie vorhaben mögen, es wird ganz sicher ohne mich in die Wege geleitet werden müssen.«
»Sie waren meine letzte Hoffnung, Bernina.« Mentiri ließ die Schultern hängen, was ihm gar nicht bewusst zu sein schien. Sein Blick glitt in die Ferne, auf einen Punkt, den außer ihm niemand zu sehen vermochte. »Es ist bitter, zu scheitern. So kurz vor dem Ziel zu scheitern, gleich noch bitterer.«
»Befindet sich die Chronik, die mir mein Vater hinterlassen hat, ebenfalls auf einem der Wagen?« Berninas Stimme hob sich fest über den Lagerplatz.
Mentiri betrachtete sie. Erschöpfung und Niedergeschlagenheit in seinem Lächeln. »Nein, das tut sie nicht.«
»Wo immer die Chronik sein mag«, Bernina erhob sich abrupt, »ich bin es leid, Sie danach zu fragen. Ich bin es leid, stets nur Andeutungen von Ihnen zu hören.« Sie schüttelte ihren Kopf. »Ich werde mich nun von Ihnen verabschieden, mein Herr, und zwar für immer. Behalten Sie die Chronik, falls Sie sie noch haben. Ich will sie nicht mehr.«
Er lächelte weiterhin. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, kam keine Erwiderung aus dem Munde Mentiris.
Langsam drehte sich Bernina um. Sie zog die Decke, die ihre Schultern bedeckte, wieder über ihr Haar und wartete auf Norby, der zu ihr kam und sie von der Seite musterte, aber keinen Ton äußerte. Nebeneinander gingen sie los, fort von dem geheimen Lagerplatz. In ihrem Rücken fühlte Bernina den Blick aus den traurigen Augen, fühlte, wie Mentiri ihr hinterherschaute.
Weder auf dem langen Rückweg, zumeist bergab, durch Wälder und durch kleine enge Täler, noch in den Stunden danach sprachen sie über das, was sie erlebt hatten. Mentiri wurde mit keinem Wort
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