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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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in Teichdorf, von Schärfe durchdrungen, weniger manieriert. Es war derselbe Mann, zweifellos, allerdings schien ihm eine andere Seele innezuwohnen.
    In fahlem, nur langsam erwachendem Tageslicht führte Fronwieser sie zwischen Weißdorn und Wacholder hindurch, weg von der Stadt. Ginsterbüsche und Kiefern, hohe Gräser. Angst ballte sich zu einem großen Klumpen in Berninas Magen. Geräusche fließenden Wassers erreichten ihr Ohr. Disteln verfingen sich im Stoff ihres hochgeschlossenen Kleides mit der kleinen Halskrause und den weit gebauschten Ärmeln, das sie so mochte. – Würde sie in diesem Gewand sterben? Würde sie Nils nie wiedersehen? Alles vorbei? In wenigen Momenten? Die Furcht ließ sie stolpern, doch sie schaffte es, auf den Beinen zu bleiben.
    Am Fluss hielten sie an. Sofort wurden Berninas Fußknöchel abermals mit Stoffstreifen gefesselt, ebenso jene des Knechtes, auf dessen Gesicht sich ein Flackern hilfloser, endgültiger Verzweiflung zeigte.
    Dann Knebel, die ihnen den Atem nahmen. Sie pumpten Luft durch die Nasen in ihre Lungen. Ein jähes Krächzen von Krähen erklang wie ein Abschiedsgruß. Hände packten sie, Lorentz Fronwieser glotzte Bernina forschend an, schien sich an ihrer Beklemmung zu weiden wie an Alwines Leiden am Schandpfahl.
    »Also los, macht schon«, knurrte er. »Schließlich wollen wir keine Wurzeln schlagen.«
    Seine Helfer stießen Baldus in den Fluss, anschließend warfen sie Bernina hinein, als würden sie sich eines Bündels zerschlissener Kleidung entledigen. Ein Schrei entfuhr Berninas Kehle, doch der Knebel verhinderte jeden Laut. Es gab nur noch die kalte und tödliche Umarmung des Wassers, das wie ein riesenhaftes lebendiges Wesen war. Es fraß sie auf, Stück für Stück verschluckte es sie, entzog sie der Welt. Berninas Lungen taten weh, alles um sie herum bestand aus wogender, undurchdringlicher Nässe, sie verschwand, spürte, wie sie sich auflöste, während der Druck in ihrer Brust immer schlimmer wurde, sich zu einem unerträglichen Schmerz ausweitete, in jede Faser ihres Körpers vorstieß. Sie zerrte an den Fesseln, ihre Schultern schienen aus den Gelenken zu springen.
    Direkt vor ihr bildete sich ein großes Nichts, in dessen Mitte sie plötzlich einen Flecken bemerkte, hell und verschwommen, es war Heu, ja, was sie sah, war Heu, und darauf lag, tot und winzig klein, der Körper eines neugeborenen Mädchens, das nie einen Lufthauch dieser Welt gekostet hatte.
     
    *
     
    Er zügelte sein Pferd und atmete auf. Endlich. Da war sie, die Spur. Er betrachtete den grasigen Untergrund. Zumindest eine Spur, das erste Anzeichen überhaupt, dass in letzter Zeit jemand vor ihm hier entlanggeritten war. Norby lächelte schmal. Die Sonne schien, er nahm den Hut für einen Moment ab und atmete durch, ehe er Hugo von Neuem antrieb. Es war warm, die Luft schwül. Seit seiner letzten kurzen Rast an einem Bach war schon wieder einige Zeit verstrichen.
    Geschwächt war er. Die Wunden hatten Fieber ausgelöst, wie ein rascher Griff an die Stirn bewies, auf der pralle Schweißperlen standen. Aber er konnte und wollte sich keinen Moment der Ruhe gönnen, im Gegenteil, er musste die Spannung in sich aufrechterhalten, die Aufmerksamkeit, mit der er die Umgebung maß, er durfte nicht nachlassen.
    Die Hufe des Pferdes schlugen in einem gleichmäßigen Rhythmus, nicht zu schnell, nicht zu langsam. Er rief sich die Worte der dicklichen, knollennasigen Wirtsfrau ins Gedächtnis, mit der er sich in Ippenheim ausführlich unterhalten hatte. Zweifellos, die drei Reiter waren bei ihr zu Gast gewesen, die Beschreibung passte haargenau. Und sie schienen noch immer in Eile, sie hätten nur die Pferde getränkt und sich nicht einmal Zeit für ein schnelles Essen genommen. Die Frau hatte ihm genau erklärt, wie er den Pfad finden würde, der abseits der großen Straße in Richtung Freiburg führte. Auch den Männern habe sie von dieser Route berichtet – und jene seien äußerst interessiert gewesen.
    Genau in dem Moment, als Norby sich sicher gewesen war, in die Irre zu reiten, hatte er die Hufabdrücke entdeckt. Er wusste Spuren zu lesen. Alles deutete darauf hin, dass die Unbekannten nach wie vor ihre Tiere zu zügigem Galopp antrieben.
    Der Pfad verschwand im dichten Buschwerk, wilde Himbeeren leuchteten, Hagebuttensträucher und Dornengestrüpp, Buchen warfen Schatten, die die Sonnenstrahlen verdrängten, Fichten streckten ihre Äste und Zweige nach ihm aus.
    Plötzlich bäumte sich der

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