Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
freigeschossene Breschen zuzumauern. Er ließ Kavallerieattacken reiten, aber auch sie brachten nicht den gewünschten Erfolg. Pulver- und Bleivorräte würden irgendwann zur Neige gehen.
Plötzlich kam wie aus dem Nichts Verstärkung für die Verteidiger zu Hilfe: In der Nähe der Ortschaft Pfaffenweiler kreuzte eine französische Streitmacht auf, mehrere 1.000 Mann stark. Angeführt wurden die Truppen von den Offizieren Turenne und Condé, und Lorathot musste ab jetzt an noch mehr Fronten gleichzeitig kämpfen. Es würde noch schwerer werden, verdammt schwer.
Der Mittag zog dahin, verlustreich auf beiden Seiten, ebenso der Nachmittag, blutig wie die Sonne, die allmählich in brennendem Rot am Horizont versank. Der Feldmarschall starrte gerade auf einen Leichenhaufen, bestehend aus toten Soldaten, die bald in ein namenloses Massengrab geworfen werden würden, als ihn die Nachricht erreichte, dass einer seiner Spähreiter im Lager aufgetaucht sei. Sofort zog sich Franz von Lorathot hinter die Kampflinie zurück, um zu seinem Zelt zurückzukehren.
Den Reiter hatte er bereits hereinbringen lassen. Der Mann wartete in aufrechter Haltung, die dennoch seine Erschöpfung nicht verbergen konnte. Er war der größte und kräftigste der drei Spürhunde, der Einzige, dem Lorathot einen seiner berühmten Ringe zum Geschenk gemacht hatte, irgendwann vor Jahren, nach der Erfüllung eines besonders heiklen Auftrages.
»Erst drei, dann zwei, und jetzt du allein«, schnarrte der Feldmarschall beim Betreten des Zeltes mit düsterem Spott. »Wo ist dein Begleiter?«
»Ich musste ihn zurücklassen«, kam die Antwort, so respektvoll und sachlich wie immer.
»Tot?«
»Möglich. Ich hatte keine Gelegenheit, mich zu vergewissern.« Ein kurzes Nicken. »Ich wollte weder neuerliche Risiken eingehen noch mehr Zeit verlieren. Ohnehin war es schwer genug, aus Freiburg herauszukommen und unbemerkt durch die Reihen der Verteidiger zu schlüpfen.«
»Schwere Aufgaben zu meistern, ist doch deine große Stärke«, erwiderte Lorathot unbeeindruckt. »Und wo steckt der Dritte von euch? Bei mir hat er sich jedenfalls nicht blicken lassen.«
»Ich weiß nicht, was mit ihm geschah. Aber es ist kein gutes Zeichen, dass wir nichts mehr von ihm gehört haben.«
»Hm.« Lorathot runzelte die Stirn. »Bringst du mir endlich die Nachricht, auf die ich schon lange genug warte?«
»Ja, der betreffende Herr ist tot«, gab der Mann in dem dunklen Mantel zurück.
»Sicher?«, fragte Lorathot mit scharfem Tonfall.
»Ich habe ihm eigenhändig meine Klinge in den Leib gejagt. Und ich sah zu, wie er im Dreckwasser eines Kanals unterging.«
»Einzelheiten will ich nicht wissen. Aber wenn wir schon dabei sind: Du hast natürlich niemanden mit deinem Degen umgebracht. Möglicherweise hast du in meinem Auftrag eine Person befragen sollen, die sich dann der Befragung widersetzte und flüchten wollte. Und dummerweise bei diesem Fluchtversuch ums Leben kam.«
»So trifft es eher die Wahrheit«, beeilte sich der andere beizupflichten.
»Dachte ich mir doch.« Franz von Lorathot grinste. In seinen Augen blieb ein Funkeln. »Und ich frage noch einmal: Du bist dir sicher?«
»Ja.«
Die Antwort schwebte noch eine Weile in der Luft.
Abrupt drehte Lorathot ihm den Rücken zu. »Gut gemacht.« Er räusperte sich. »Morgen wirst du die Entlohnung erhalten – die Entlohnung für euch alle drei.«
»Gibt es sonst noch etwas für mich zu tun?«
»Nein. Aber ich will, dass du in meinem Lager bleibst. Ich habe Neuigkeiten über Maximilian erfahren. Womöglich wirst du mir bald wieder von Nutzen sein.«
»Ganz wie Sie befehlen.« Nach einer angedeuteten Verbeugung verließ der Mann das Zelt.
Franz von Lorathot hatte ihn nicht einmal mehr angesehen. Im Kopf des Feldmarschalls arbeitete es. Er dachte nach, seine Gedanken rasten.
*
Nur wenige tausend Meter Luftlinie entfernt von ihm, in einem Fachwerkhaus eines kleinen verwinkelten Handwerkerviertels von Freiburg, inmitten einer Welt des Todes, hatten zwei Menschen einen kurzen, unerwartet makellosen Moment des Glücks erlebt, völlig ungeachtet des lautstarken Gebrülls der Schlacht. Die verrammelten Fenster und die vom ebenso fleißigen wie geschickten Baldus reparierte Hintertür, die aufgebrochen worden war, ließ kaum etwas Sonnenlicht ins Innere. Eine dunkle Insel im wogenden Meer des Krieges.
Während Baldus Wache hielt, abwechselnd an den Fenstern von Front und Rückseite, hatten sich Bernina und Nils
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