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Die Entscheidung liegt bei dir!

Die Entscheidung liegt bei dir!

Titel: Die Entscheidung liegt bei dir! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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froh, dass alle dafür gesorgt haben, dass ich pünktlich hier bin. Meine Armbanduhr hat funktioniert, das Auto ist angesprungen, und die vielen Autofahrer sind zu Hause geblieben, sodass ich ohne Staus und Unfälle pünktlich ankommen konnte.«
    Wenn die Dinge aber schiefgegangen sind, mutiert man plötzlich zum Opfer. Das Urheberrecht wird abgewiesen: an die Umstände, das Pech, die anderen. Das zeigt auch meine jüngste Erfahrung mit einer Dame, die sich für ihr äußerst aggressives Verhalten an einer Kaufhauskasse bei der Kassiererin mit den Worten entschuldigte: »Ich bin halt Sternzeichen Widder und außerdem älteste Schwester.«
    |48| Wie Wissenschaftler, die für »positive« Leistungen gern Verantwortung übernehmen, bei »negativen« Begleiterscheinungen lieber von unvorhersehbaren Nebenfolgen und Restrisiko sprechen, so neigen viele Menschen dazu, den Erfolg sich selbst zuzuschreiben, den Misserfolg jedoch den Umständen anzulasten. Und sie erwarten Preisnachlass. Andererseits werden häufig genug die Erfolge anderer eher den Umständen zugeschrieben, ihre Misserfolge aber mit Charaktereigenschaften erklärt.
    Das gilt auch für Rechtfertigungen. Eifersucht zum Beispiel findet man in der Regel für sich selbst plausibel, beim anderen eher übertrieben. Auch beim sogenannten »Seitensprung« findet man für den eigenen stets mildernde Umstände, für den des anderen eher strafverschärfende. Dass wir betrogen wurden, das schmerzt; dass wir betrogen haben, schmerzt uns weniger. Wir neigen dazu, die guten Gründe auf unserer Seite zu sehen und den anderen die schlechten zu lassen.
    Sehen wir uns einige »Ich kann ja nichts dafür!«-Geschichten einmal näher an: »Ich hatte so viel zu tun!«, »Meine Uhr ist stehengeblieben!«, »Der Strom ist ausgefallen!«, »Ich hatte nicht genug Zeit!«, »Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe, aber ich war im Stress!«, »Durch den Alkoholgenuss war ich nicht mehr ganz zurechnungsfähig!«, »Ich kann ja auch nicht aus meiner Haut heraus!«, »Die Sterne standen ungünstig!«, »Es war Föhn und außerdem Dienstag.« Wie Pontius Pilatus waschen wir unsere Hände in Unschuld und beschuldigen das, was wir »nicht im Griff« haben.
    Sie sind mit einem Bekannten im Restaurant verabredet und kommen zu spät. »Der Verkehr!«, »Ich bin nicht früher aus dem Büro gekommen«, »Ich habe keinen Parkplatz bekommen«– alles Dinge, gegen die Sie völlig machtlos sind. Oder etwa nicht? Hätten Sie nicht früher wegfahren können? Warum haben Sie |49| Ihrem Kollegen, der Sie im Büro »aufhielt«, nicht unmissverständlich klargemacht, dass Sie jetzt wegwollen?
    Nehmen wir einmal an, Sie wüssten nicht insgeheim, dass der Bekannte auf Sie warten wird, nehmen wir stattdessen an, Sie hätten einen Flug in die Ferien gebucht und müssten davon ausgehen, dass der Jet nicht Ihretwegen eine halbe Stunde später abfliegt: Ich vermute, dass Sie sehr wohl Staus einkalkulieren würden und auf jeden Fall rechtzeitig zum Flughafen kämen.
    Vor einiger Zeit kam ich mit einem Polizisten ins Gespräch, der auch für Bußgeldverfahren zuständig ist. Er erzählte mir einige besonders fantasievolle Opfer-Storys, mit denen Autofahrer die fällige Strafe zu umgehen suchen:
    »Ich war mit der Schildkröte auf dem Weg zum Tierarzt. Sie ist aus dem Korb gekrochen und hat sich unter dem Bremspedal versteckt!«
    »Nach Hause kommend, fuhr ich in die falsche Einfahrt und kollidierte mit einem Baum, der da nicht hingehörte.«
    »Der Fußgänger wußte nicht, wohin er gehen sollte, deshalb berührte ich ihn mit meinem Wagen.«
    »Der Telefonmast kam mir entgegen. Ich versuchte, ihm auszuweichen, und kam ins Schleudern, sodass er mein Heck demolierte.«
    Sobald im Winter der erste Schnee fällt, werden Beulen und Blechschäden auf den Straßen nicht mehr durch unvorsichtiges Fahren verursacht, sondern durch »höhere Gewalt«. Klar, »die Straße war glatt, es war dunkel, die festgefahrenen Autos standen im Weg!« Aber wie ist es zu erklären, dass nur manche ins Rutschen kommen und viele nicht, obwohl es für alle schneit? Weil die einen sich darauf einstellen, den Wagen stehen lassen oder besonders vorsichtig fahren. Die anderen tun das nicht.
    Mit alldem will ich nicht sagen, dass es so etwas wie »Opfer« gar nicht geben kann, dass es keine Schicksalsschläge oder |50| unvorhersehbaren Ereignisse gibt. Aber nach meiner Erfahrung wird das Konto in diesem Punkt oft – und gern – überzogen.

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