Die Entscheidung liegt bei dir!
prägt auch – umgekehrt – unser Denken. »Die Sprache ist das Haus des Seins«, sagt der Philosoph Martin Heidegger und meint damit, dass die Sprache auf unser Bewusstsein zurückwirkt. Durch entschuldigende Formeln, entlastende Wendungen und Verständnis heischende Einschübe glauben wir mehr und mehr, wir würden tatsächlich vom »Müssen« unterdrückt. Dabei ist das Einzige, was wir hier unterdrücken, unser aufrechter Gang.
Diese Einstellung entlarvt sich noch in anderen Sprachwendungen. Vor allem der Konjunktiv ist die Sprache der |53| Ohnmacht. Typisch dafür sind Ausdrücke wie etwa »Ich müsste …«, »Ich sollte …«, »Ich könnte …«, »Ich dürfte eigentlich nicht …«.
Viele Menschen werden von ihrem Job aufgefressen. Sie fühlen sich ausgebrannt und leer. Aus der 40-Stunden-Woche ist langsam, aber stetig eine 50-, dann eine 60-Stunden-Woche geworden. Sie haben sich nicht bewusst vorgenommen, sich halbtot zu arbeiten. Aber jetzt spüren sie, dass sie etliches in ihrem Leben vernachlässigen. Dann fällt oft der Satz: »Ich sollte weniger arbeiten!« Ja? Nein, denn sie wollen es gar nicht. Als sie es nämlich versuchten, als sie sich zurücknahmen, weniger taten, sich fürs gelegentliche Faulenzen entschlossen hatten, fühlten sie sich plötzlich überflüssig, sinnentleert, abgekoppelt vom Leben. Das war wie Drogenentzug. Soziale Bedeutungslosigkeit ist für viele Menschen ein Albtraum. Unerträglich. Für sie gilt nicht: »Ich denke, also bin ich«, sondern: »Andere denken an mich, also bin ich.«
Wer sagt: »Ich sollte«, der hat noch nie etwas getan. Sein Wille konzentriert sich aufs kluge Darüber-Reden. Diese Unverantwortlichkeit wird noch einmal überboten vom: »
Man
sollte …!«. Das ist, gemessen zu meinem Sprachgefühl, die Krönung des Ohnmachtjargons. Ursprünglich beschreibend gebraucht, leitet sich das »man« von der Beobachtung allgemeiner Gepflogenheiten her (»In Spanien hält man mittags Siesta«) und bedeutet etwa »irgendein Mensch«. So bietet es sich geradezu an, die eigene Entscheidung in einer scheinbar allgemeingültigen Kulisse verschwinden zu lassen. Die Verantwortung des Einzelnen zerfasert: »Man hatte ja auch gar keine Gelegenheit …«, »Man hätte uns doch damals …«, »Man konnte doch nicht einfach …« – so rechtfertigt man die Vergangenheit. »Man müsste …«, »Man müsste eigentlich …«, »Man müsste eigentlich mal …« – in der Gegenwart |54| können wir passiv bleiben, der Schwarze Peter wird der Allgemeinheit zugeschoben.
Sehr verbreitet ist in diesem Zusammenhang auch die Haltung:
Mehr wissen wollen, als zum Handeln nötig ist.
Sie wissen genau, jetzt müssen Sie handeln. Aber bevor Sie handeln, lesen Sie lieber erst noch ein Buch … oder besuchen ein Seminar … oder gehen zum Therapeuten. Ein billiger Schlupfwinkel, um Verantwortung zu vermeiden. Die Energie fließt ins Analysieren und Reflektieren. Das kluge Anhäufen von Wissenswertem gaukelt Handeln vor. Dadurch glaubt man, passiv bleiben zu können: Verstehen statt Bewegen. Die Folge ist ein entschiedenes »Vielleicht!«. Die unausgesprochene Selbstabwertung lautet: »Ich treffe immer die falschen Entscheidungen«, »Ich kann nicht entscheiden.« Diese Menschen machen sich selbst unglücklich. Denn
eine
Konsequenz hat die Unentschiedenheit immer: den Verlust der Selbstachtung. Keine noch so negative Auswirkung einer »Fehlentscheidung« kann diesen Preis aufwiegen.
Hinter der Maske des Abwägens und Argumentierens verbirgt sich oft Feigheit und der Wunsch, nicht verwickelt zu werden. Wie Hamlet suchen viele im klügelnden Hin-und-Her-Wägen Sicherheit, wo Mut verlangt wird; Entlastung, wo Einmischung nötig wäre; Aufschub, wo Handeln ansteht. Und so drehen sie sich im Kreis. Wer aber zu handeln zögert, weil er Angst hat oder mehr wissen will, als zum nächsten Schritt nötig ist, versäumt die Klärung. Oft habe ich den Eindruck, je mehr sich jemand vor dem Handeln drückt, desto höher fliegt er geistig.
Auch jene geben sich als Opfer fremder Mächte zu erkennen, die behaupten: »Ich konnte nicht …« oder »Mir blieb nichts anderes übrig« oder »Ich will das ja nicht, mein Chef will es!« Das ist der Jargon des Hineingeratenseins. Diese Menschen |55| machen
alle anderen
unglücklich. Sie haben das Bewusstsein der Wahlfreiheit verloren. »Eigentlich wollte ich keinen Alkohol trinken, aber dann konnte ich einfach nicht widerstehen.« Wer so spricht, behauptet, dass
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