Die Entscheidung liegt bei dir!
gerne als Werkzeuge der Fremdsteuerung an. Wenn uns jemand eine Frage stellt, fühlen wir uns wahrgenommen, spüren, dass jemand sich für uns interessiert. Mindestens meinen wir, dass jemand etwas von uns wissen will. Aber das Fragen hat eine tückische Kehrseite. Die meisten Fragen sind nämlich keine Fragen, sondern Aussagen. In ihnen ist immer eine ganz bestimmt These, Annahme, Behauptung eingelassen, die allerdings auf den ersten Blick nicht kenntlich ist. Wenn zum Beispiel jemand fragt: »Warum müssen wir denn jetzt schon wieder umorganisieren?«, dann steckt darin die Aussage »Ich will nicht umorganisieren«. Diese Aussage will er allerdings nicht verantworten, deshalb legt er seiner Aussage den Frage-Mantel um. Gleichzeitig stellt er sich über uns. Konfrontiert man ihn damit, so »hat er ja nur gefragt«. Nein, hat er nicht. Er hat etwas gesagt, und damit kann ich dann etwas anfangen. Aussagen klappen das Visier hoch. Sie machen kenntlich und erkennbar.
Fragen sind Aussagen, die sich verstecken wollen. Derjenige, der fragt, will keine Position beziehen, will nicht klar sagen, was er erlebt, er will in der Deckung bleiben. Aber für uns lässt er diese Deckung nicht gelten. Denn wenn uns |135| jemand eine Frage stellt, sind wir »gestellt«. Mit Fragen nötigt er uns zu reagieren, zwingt uns zur Antwort. Es gilt ja als ausgesprochen unhöflich, eine Frage unbeantwortet zu lassen. Er nötigt uns, etwas zu sagen, was wir vielleicht gar nicht sagen
wollen
– zumindest im Augenblick nicht, sonst hätten wir ja etwas gesagt. Er nötigt uns, etwas zu eröffnen, was wir – jetzt oder grundsätzlich – lieber verschlossen hielten. Das bedrängt uns, macht uns verlegen, bringt uns in die Defensive … aus der wir uns nur befreien können, wenn wir eine Gegenfrage stellen. Das ist dann der Gipfel der Unhöflichkeit. Die Macht an sich reißen, indem man fragt. Manche Menschen spüren das Bedrängende des Fragens. Sie leiten ihre Frage dann ein mit »Darf ich fragen …?«. Sie spüren, dass sie dem anderen zu nahe treten können, und machen sich vorsorglich kleiner.
Wer fragt, der führt … den anderen dann an der Nase herum. Das Manipulative des Fragens ist von Sokrates perfekt vorgeführt worden. Nie hat er etwas wissen wollen, immer hat er schon gewusst. Und den Befragten zum Stichwortgeber degradiert. Die Fragen sind so aus- und eingerichtet, dass sich die vorausberechneten Antworten von selbst einstellen. Dann hat er sein Ziel erreicht. Was heißt das für den Einzelnen? Wenn Sie fragen, ist es mindestens fair, immer auch kurz den Fragehintergrund, die dahinter stehende These mit zu nennen, um den anderen nicht in die Falle laufen zu lassen. Wenn Sie der Befragte sind: Antworten Sie niemandem, der lauert!
Das Warum-Spiel
Der direkte Weg ins Reich der Fremdbestimmung führt über das allseits beliebte »Warum bin ich bloß so wie ich bin?«-Spiel
|136| Die Frage »Warum?« unterstellt ganz bestimmte Ursache-Wirkung-Zusammenhänge. Die Annahme herrscht vor, dass es für eine Situation oder ein Verhalten auch immer einen
ganz bestimmten
Grund gibt. Es mag ihn geben oder nicht, das will ich hier nicht diskutieren. Aber es ist äußerst zweifelhaft, ob wir diesen Grund auch
erkennen
können. Ob er auch
bestimmbar
ist. Ob wir ihn aus dem wirren sozialen Geflecht von Reiz – Reaktion – Reiz – Reaktion und so weiter, das naturgemäß in der Vergangenheit liegt, herausfiltern können. Unser gegenwärtiges Interesse bestimmt ja die Fragerichtung. Und so beleuchten wir – je nach Blickwinkel – das eine Ereignis ein bisschen greller, das andere weniger. Einmal fällt uns die Tatsache ein, dass unser Vater nie zu Hause war, ein anderes Mal erinnern wir uns, dass wir unsere Gefühle immer unterdrücken mussten, und da war ja auch noch der Stiefbruder …. Hier lässt man was aus, dort betont man etwas, dieses erklärt man für unbedeutend. Jede Geschichte ist von unsichtbaren Auslassungen durchzogen, den kleinen Löchern des Unerinnerten, aber nicht Ungeschehenen. Bestimmte Abschnitte unseres Lebens werden im Nachhinein immer düsterer. Die Erinnerungen eines älteren Menschen sind anders als die eines jungen. Was mit 30 lebenswichtig erschien, kann mit 50 seine Bedeutung eingebüßt haben. Wir fabrizieren aus den flüchtigen Sinneswahrnehmungen, von denen wir augenblicklich ergriffen sind, eine bruchstückhafte Reihe von Bildern, Gesprächen, Ereignissen, Gerüchen und Berührungen von Dingen sowie Menschen.
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