Die Entscheidung liegt bei dir!
Zum Beispiel materiell. Dabei wird reflexhaft unterstellt, dass, wenn ein Mensch mehr hat, dem anderen automatisch etwas fehlt. Der Arme werde also schon allein dadurch ärmer, dass der Reiche reich ist. Dieser Gedanke resultiert aus der Logik des Vergleichs. Damit wird die Antwort auf die Frage, wie es einem selbst geht, abhängig gemacht davon, wie |149| es anderen geht. Der Maßstab liegt nicht mehr in mir, sondern in anderen. Ein Unterschied wird so zu einem Mangel uminterpretiert. Damit werden die Menschen in praktisch allen Lebenssituationen zu Konkurrenten untereinander. Es ist dann wichtiger, den anderen nach irgendeinem Maßstab zu überbieten, als die eigene Lebensqualität zu steigern. »Mehr« ist dann wichtiger als »viel«. Nicht das Eigene ist wichtig, sondern das Relative. Deutlicher kann man ein Von-außen-gesteuert-Werden kaum beschreiben. Der Neid ist allgegenwärtig in unserer Gesellschaft. Er vergiftet private Beziehungen und verschlechtert das Klima am Arbeitsplatz. Vor allem aber verhindert Neid, was wir alle sehnlichst erstreben: Zufriedenheit.
Kommt es nicht vielmehr darauf an, ob Menschen
für sich
ein gutes Leben führen, als darauf, wie ihr Leben relativ zum Leben anderer zu bewerten ist? Wenn ein anderer mehr hat, fehlt mir keineswegs automatisch etwas. Einverstanden, der gesellschaftliche Reichtum gibt durchaus einen Maßstab ab, was Reichtum und was Armut ist; ganz ohne Relationen kommen wir nicht aus. Ja, und es gibt viele Ungerechtigkeiten, ungleich verteilte Chancen. Aber wie befreiend ist der Umgang mit Menschen, die selbst wissen, was für sie wichtig ist, die ihre Lebensqualität selbst definieren und nicht in Beziehung auf andere.
Nicht mehr vergleichen? Der einzige zulässige Vergleich ist der Vergleich mit mir selbst. Mit mir selbst kann ich mich vergleichen: ob ich etwas gelernt habe, meinen eigenen Ansprüchen gerecht wurde, meinen selbst gewählten Maßstäben genüge. Und wenn es mir um Leistung geht: dass ich selbst besser werde, heute besser als früher, dass ich mich selbst übertrumpfe, nicht andere. Das hat auch einen weiteren praktischen Vorteil: Das »Ich« ist ein stabiles, berechenbares |150| Bezugssystem. Ich brauche nicht permanent nach anderen Maßstäben zu suchen. Denn ich habe mich immer bei mir.
Selbst-Vertrauen
Die Vorbild-Steuerung reduziert erwachsene Menschen auf Marionetten, die leicht zu beeinflussen sind, jedem kontrollierenden Zugriff gehorchen, die aber niemals selbst Verantwortung übernehmen. Nein, es kann nicht darum gehen, einem Vorbild hinterherzurennen. Es geht darum, glaubwürdig und einzigartig und echt zu sein. Es geht darum, das Vorbild
in jedem Einzelnen
zu entwickeln.
Jeder Mensch stellt eine einzigartige Persönlichkeit dar. Jeder Mensch darf beanspruchen, in seiner Einzigartigkeit respektiert zu werden. Voraussetzung für eine echte Persönlichkeit ist, sich von der ständigen Außenleitung durch Vorbilder zu lösen und die Verantwortung für das Handeln selbst zu übernehmen. Thomas Banyacya, Hopi-Ältester, sagt: »No one can predict to what height you can soar, until you have spread your wings.« (Auf Deutsch: »Niemand kann vorhersehen, in welche Höhen du aufsteigen kannst, bevor du nicht deine Flügel ausgebreitet hast.«)
Hören wir auf, anderen um jeden Preis gefallen zu wollen; machen wir uns vom Urteil anderer unabhängig – wenigstens ein bisschen. Ich muss es nicht immer anderen recht machen. Ich bin nicht nur dann in Ordnung, wenn andere sagen, dass ich in Ordnung bin. Verkaufen wir nicht unser Geburtsrecht auf Selbstbestimmung gegen das Linsengericht des Nacheiferns. Erlauben wir es uns, den Erwartungen |151| anderer auch mal nicht zu entsprechen. Und tun wir ab und zu etwas Unerwartetes; etwas, das so ganz und gar nicht zu unserem Image passt. Sie werden sehen: Es befreit ungemein.
Niemand kann so großartig sein – auch nicht in Teilbereichen! –, dass wir ihm unsere Einzigartigkeit zum Opfer darbringen sollten. Einzigartigkeit ist die wahre Quelle geglückten Lebens. Alle, die in ihrem Leben etwas Herausragendes leisten, eine unverwechselbare Persönlichkeit darstellen, ein »Individuum« sind, haben sich vor ihren Wurzeln verbeugt – und sich dann von ihnen getrennt. Sie haben die Wirkung des Vorbilds in sich »aufgehoben«. Dies hat der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel dreifach gemeint: im Sinne von »aufbewahrt«, im Sinne von »auf eine höhere Ebene gehoben« und im Sinne von
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