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dazu?
|146| Der Tod des Glücks
Unvergleichliches vergleichen
Das Vorbild definiert – wie wir gesehen haben – einen Sollwert, dem andere nacheifern. Dazu ist ein Vergleich nötig: Ich bin ganz offensichtlich nicht so, wie ich sein
sollte
. Etwas fehlt im Vergleich zum Vorbild. Das Anerkennen des Vorbildlichen ist also eine
vergleichende
Handlung. Da es mir hier vor allem um die Bedingungen geglückten Lebens geht, biete ich Ihnen diesen Gedanken an:
Der Tod jedes Glücks
ist der Vergleich.
Das ist eine gewagte These, ich weiß. Sie ist jedoch einen Moment des Nachdenkens wert. Denn es gibt das interessante Phänomen, dass einerseits die Individualisierung der wohl bedeutendste gesellschaftliche Gegenwartstrend ist. Andererseits gestalten viele Menschen ihren gesamten Lebensentwurf über den Vergleich mit anderen.
Aber ist das gleich der Tod jedes Glücks? Zunächst einmal ist der Moment des Glücks
bewusst-los
. Raum und Zeit sind aufgehoben. Ich bin vollständig »in« der Situation. Ich erhebe mich nicht »über« sie, habe keine analysierende |147| Distanz. Es ist das absolute »Jetzt«. Und es ist im Regelfall sprach-los.
Wenn ich nicht mehr sprachlos bin, wenn ich sage: »Ich bin glücklich«, dann bin ich es eigentlich schon nicht mehr. Ich bin dann der Situation entstiegen. Ich betrachte und bewerte sie. Ich schaue auf sie zurück. Über ein Glücklichsein kann ich also immer erst im Nachhinein sprechen. Ich kann streng genommen nur sagen: »Ich
war
glücklich.« Und diese Bewertung einer vergangenen, glücklichen Situation findet notwendig über den Vergleich mit der Gegenwart statt, die als weniger glücklich erlebt wird. Sobald wir vergleichen, gehört das Glück schon der Vergangenheit an.
Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade ein wunderschönes Haus gebaut und erfreuen sich daran. Es geht Ihnen gut. Da zieht auf dem Nachbargrundstück jemand ein Haus hoch, das noch größer, schöner, teurer, repräsentativer ist. Schlagartig geht es Ihnen schlecht. Sie vergleichen und kommen zu einem für Sie negativen Ergebnis. Wie man sich selbst die Laune verdirbt: sich vergleichen und sich dann in die Unterschiede vertiefen – aber nicht im Sinne von »anders«, sondern von »besser« oder »schlechter«. (So habe ich zum Beispiel oft den Eindruck, Frauen kaufen sich Modezeitschriften nur deshalb, um festzustellen, dass die eigenen Beine nicht lang oder nicht gerade genug, der eigene Busen nicht groß oder nicht klein genug ist.)
Es findet sich aber immer eine Situation, die noch schöner ist oder war; es findet sich immer jemand, der noch mehr kann, der noch mehr hat: das noch schnellere Auto, das noch höhere Gehalt, den noch weitreichenderen Ruhm, die noch größeren Fähigkeiten, die noch schillerndere Prominenz. Je mehr die Menschen haben, desto mehr haben sie zu wenig. Der Tod des Glücks: Es geht den Menschen nicht gut, wenn es ihnen gut geht, sondern schlecht, wenn es anderen besser geht.
|148| Sie greifen dann gerne zum Über-Trick. Sie vergleichen sich mit Schwächeren, Unfähigeren, Unglücklicheren. Sie verschieben einfach den Maßstab. Sie entschädigen sich für ihre eigene mangelhafte Situation dadurch, dass sie Leute finden, denen es noch dreckiger geht. Oder sie vermuten beim Glücklichen das Haar in der Suppe: Die Trostpreis-Rhetorik jener, die neidvoll durch die Villenviertel der Vororte streichen: »Wer weiß, wie viel Elend sich hinter diesen Mauern verbirgt?!« Nahezu alle deutschen Kriminalfilme leben davon.
Aber unsere innere Wachsamkeit lässt sich nicht betrügen. Wir wissen, dass wir uns nur innerlich entlasten wollen, dass wir dem Druck ausweichen wollen, der vom Vergleich ausgeht. Das Glück stirbt: Es geht den Menschen nicht besser, wenn sie das Etikett überkleben und den Mist, auf dem sie sitzen, als Dünger bezeichnen.
Betrachten wir noch einmal das Wort »Vergleich«. Beim Vergleich wird etwas gleichgesetzt. Aber niemand ist gleich.
Jeder ist unvergleichlich.
Jeder ist ein Unikat. Und nicht alles, was hinkt, kann man vergleichen. Wenn ich also vergleiche, dann vergleiche ich immer Unvergleichliches. Äpfel mit Birnen. In einer Welt voller Individuen ist es einfach sinnlos, Vergleiche anzustellen. Es meuchelt meine Einzigartigkeit. Und das ist mit Sicherheit der Tod meines Glücks. Ein kleiner Kreis ist nicht weniger ein Kreis als ein großer.
In der politischen Diskussion wird oft die Frage gestellt, warum es dem einen Menschen besser gehen darf als einem anderen.
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