Die Entscheidung
warf noch einmal einen Blick nach links und rechts. Wenn Liliana mit Raika hier war, hatten sie mit Sicherheit auch Alain mitgebracht, um das Dorf der Outlaws aufzustöbern. Keine der beiden Frauen war je dort gewesen. Insofern brauchten sie ihn. Aber das war kein Problem. Wenn Darrek darauf vorbereitet war, konnte er Alains Gabe problemlos umlenken. Und zwar so weit wie möglich vom richtigen Dorf weg. Das Problem war nur, dass Island nicht besonders groß war. Mit seinen knapp über 100.000 Quadratmetern war es zwar ein sehr großer Inselstaat, aber dennoch ein kleines Land mit wenigen Siedlungen. Eine Bande Warmblüter aufzuspüren sollte also auch ohne die Hilfe einer Gabe innerhalb weniger Tage möglich sein. Und in drei Tagen war Vollmond. Bis dahin mussten sie noch durchhalten.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Einar.
„Na, was wohl“, gab Darrek zurück. „Wir verschwinden. Und zwar so schnell wie möglich.“
„Und?“
Liliana stand mit verschränkten Armen am Terminal und beobachtete die Vertreterin von Noemi aufmerksam. Obwohl sie sich unter Menschen mischen mussten, hatte Raika darauf bestanden, ihre feine Garderobe beizubehalten. Sie trug ein langes elegantes Kleid, das durch den Flug leicht zerknittert wirkte, und ihre Füße steckten in eleganten Schnürstiefeln. Das lange Haar hatte sie wie gewohnt zu einem Zopf geflochten.
Sobald sie aus dem Flugzeug gekommen waren, hatte Raikas Radar für Familienangehörige ausgeschlagen. Aber Liliana konnte sich noch nicht sicher sein, was das bedeutete.
„Darrek ist hier“, stellte Raika schließlich fest. „Oder zumindest war er hier. Inzwischen ist er wahrscheinlich schon längst über alle Berge. Er hat meine Gabe abgeblockt. Aber ich bin mir sicher, dass er ganz in der Nähe war. Definitiv in dieser Stadt, vielleicht aber sogar an diesem Flughafen. William hat also die Wahrheit gesagt.“
„Nun. Dann sind wir zumindest schon mal nicht umsonst hergekommen.“
Liliana wandte sich den beiden Kaltblütern zu.
„Alain? Was meinst du?“
Alain warf Annick einen Blick zu und schüttelte dann den Kopf.
„Was denn?“, fragte Liliana ungeduldig.
„Er ist sich nicht sicher“, übersetzte Annick für ihren Bruder. „Darrek manipuliert auch seine Gabe. Im Moment kann er die Warmblüter gar nicht erspüren. Aber selbst wenn er es könnte, wäre es möglich, dass Darrek ihn in die Irre führt.“
„Na, das ist ja wunderbar“, schimpfte Liliana. „Seid ihr beide überhaupt zu irgendetwas nutze?“
„Lass die Diener in Frieden“, schalt Raika die jüngere Frau. „Wir müssen uns wohl einfach auf die Suche machen. Und mit etwas Glück wird Darrek unaufmerksam oder vergisst Akimas Tochter abzuschotten. In diesem Falle könnte ich sie wahrnehmen, sobald wir auf ein paar hundert Kilometer an sie herankommen.“
Liliana biss sich auf die Zunge, um sich eine sarkastische Bemerkung zu verkneifen. Sie durfte nicht vergessen, dass Raika ihr höhergestellt war. Als Tochter und Vertreterin der Ältesten war sie fast so mächtig wie eine der Ältesten selber, und Liliana durfte das nie vergessen. Sie war nun nicht mehr die Anführerin dieser kleinen Gruppe, und das passte ihr ganz und gar nicht. Doch sie würde wohl lernen müssen, sich damit abzufinden.
„In Ordnung, Raika“, sagte sie daher. „Was schlägst du vor?“
Kapitel 29
Die Heimkehr
Der Rückweg zum Dorf gestaltete sich weitgehend problemlos. Das Wetter war beständig und sie waren früh genug aufgebrochen. Nach der Nacht in einem Hotel nahe der Wanderwege fühlte Darrek sich allerdings noch unruhiger als zuvor. Er hatte wieder von Kara geträumt und sie hatte ihm alles Mögliche darüber erzählt, dass er sein Versprechen gegenüber den Dorfbewohnern auf keinen Fall brechen durfte.
„Sie brauchen dich“, hatte sie immer wieder gesagt. „Ein ganzes Dorf ist von deiner Gnade abhängig.“
Darrek wusste das. Aber es machte ihn nervös, dass Kara glaubte, ihn daran erinnern zu müssen. Was könnte ihn denn schon dazu bringen, sein Versprechen zu brechen? Laneys Strafe? Unwahrscheinlich. Solange die Dorfbewohner sie nicht halb tot geprügelt hatten, würde er schon damit zurechtkommen. Immerhin hatte er auch schon häufig Bekanntschaft mit der Peitsche gemacht. Es gab Schlimmeres.
Einar war ein guter Führer. Es war eindeutig, dass er die Gegend kannte wie seine Westentasche. Schon auf dem Weg nach Reykjavik war Darrek beeindruckt gewesen von seinem Orientierungssinn. Und dieses
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