Die Entscheidung
Darreks Seite verbracht hatte. Die beiden bedeuteten einander etwas. Und zwar mehr, als sie sich eingestehen wollten. Doch das machte die Situation im Moment eher schwieriger als leichter.
Darrek war ein Hitzkopf. Und je mehr Gefühle für ihn im Spiel waren, desto unüberlegter konnte er handeln.
„Guten Morgen, Darrek“, begann sie.
„Morgen, Johanna“, gab Darrek leise zurück, ohne sich nach ihr umzusehen.
Es war offensichtlich, dass er Laney nicht wecken wollte. Aber es war wohl besser, ihm mit Offenheit zu begegnen und ihm gleich klarzumachen, dass das ohnehin unmöglich war.
„Du brauchst nicht leise zu sein“, erklärte Johanna. „Laney befindet sich in einem Heilschlaf und wird frühestens in zwei Tagen von allein wieder aufwachen.“
Nun hatte sie Darreks ungeteilte Aufmerksamkeit. Er drehte sich zu ihr herum und seine Augen formten sich zu Schlitzen.
„Warum?“, war seine einzige Frage.
Johanna räusperte sich. Sie konnte ihm nicht die ganze Wahrheit sagen. Aber ihn anzulügen war auch keine Option. Darrek hatte eine Art siebten Sinn für Unwahrheiten, und Johanna war noch nie eine gute Lügnerin gewesen. Sie tat also gut daran, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben.
„Ich dachte, dass es gut wäre, wenn sie so schnell wie möglich wieder heilt“, erklärte sie.
Darreks Gesichtsausdruck veränderte sich kein bisschen.
„Warum?“, fragte er wieder.
„Weil … Es ist eine lange Geschichte, Darrek. Laney hat … Sie hat Swanas Strafe übernommen.“
Tiefe Furchen bildeten sich auf Darreks Stirn und Johanna konnte sehen, wie er die Kiefer aufeinander presste.
„Warum?“, fragte er ein drittes Mal und so langsam wurde Johanna wirklich nervös.
„Verdammt, Darrek. Woher soll ich das denn wissen? Swana sollte bestraft werden und Laney hat beschlossen, dass sie das nicht richtig fand. Also ist sie vorgetreten und hat darauf bestanden, die Strafe zu übernehmen. Swana wollte das nicht, aber Laney hat darauf beharrt. Ich habe erst später davon erfahren. Und deswegen hielt ich es für besser, sie von Anisia heilen zu lassen. Vertrau mir, Darrek. In zwei Tagen ist ihr Rücken wieder so gut wie neu.“
„Und das ist die ganze Wahrheit?“, fragte er misstrauisch.
„Natürlich“, gab Johanna zurück und musste sich zusammenreißen, um seinem Blick nicht auszuweichen.
Darrek atmete einmal tief durch und wandte sich dann wieder Laney zu.
„Das erklärt dann zumindest, warum sie immer noch so tief schläft. Das ist äußerst unüblich für sie.“
Erleichtert, weil er die Geschichte geschluckt hatte, setzte Johanna sich auf einen Stuhl und sah zu ihrem Bruder hinüber.
„Du scheinst sie ja schon sehr gut einschätzen zu können.“
„Es wird so langsam. Ich kannte sowohl ihren Vater als auch ihre Mutter. Und sie ist beiden sehr ähnlich.“
Aus seiner Stimme sprach Zärtlichkeit. Eine Gefühlsregung, die sie an ihm bisher noch nie beobachtet hatte. Und sofort bekam sie wieder ein schlechtes Gewissen.
„Sie sieht Kara auch sehr ähnlich“, sagte sie.
Darrek nickte.
„Sie steht ihrer Mutter an Schönheit in nichts nach“, bestätigte er. „Ihre Gesichtsform ist zwar anders, aber sie hat dasselbe wunderschöne Haar.“
Darrek beugte sich vor, um Laney die Strähnen aus dem Gesicht zu schieben. Johanna hielt den Atem an. Die Perücke war nicht festgeklebt, sondern nur mit einem Gummiband fixiert worden. Aber solange Darrek nicht allzu genau hinsah, würde es ihm gewiss nicht auffallen. Immerhin war er ein Mann.
„Ihr Haar ist stumpfer als sonst“, stellte Darrek mit Besorgnis fest, als er eine Strähne zwischen den Fingern hielt. „Glanzlos.“
„Was bist du? Frisör?“, fragte Johanna spitz. „Ich finde ihr Haar sieht aus wie immer.“
Darrek schüttelte den Kopf. Es war anders als sonst. Laneys Haar machte die größte Ähnlichkeit zu ihrer Mutter aus. Es war wunderschön und von einzigartigem Glanz. Aber heute schien etwas damit nicht in Ordnung zu sein. Und Johannas abwehrende Reaktion gab ihm zusätzlich das Gefühl, dass er recht hatte. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Darrek strich Laney das Haar komplett aus dem Gesicht und schob es dann nach oben. Als der Haaransatz sich mit hob, wurde sein Mund zu einem dünnen Strich. Darrek griff darunter und zog der schlafenden Laney in einer einzigen Bewegung die Perücke vom Kopf. Ihre Glatze kam zum Vorschein und Darrek versteifte sich. Seine Hände formten sich zu Fäusten.
Johanna hielt die Luft
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